Die Tochter der Deutschen Post mausert sich immer mehr zum ernstzunehmenden Autohersteller. Jetzt in Zusammenarbeit mit Ford.

Was hier nicht stimmt, wird erst auf den zweiten oder dritten Blick klar: Auf dem Platz steht unverkennbar der bullige Ford Transit, doch statt der klassischen Ford-Pflaume prangt auf dem Grill das Signet von Streetscooter. Die Tochter der Deutschen Post ist offizieller Hersteller des neuen Work XL, Ford liefert als Kooperationspartner das Fahrgestell mit Fahrerhaus des Transit zu. Streetscooter montiert in der eigenen Fertigung den Elektroantrieb und auch den Kofferaufbau. 150 Vorserienmodelle des Riesen-Streetscooter sollen dieses Jahr entstehen, im nächsten Jahr schon 2.500. Und damit soll noch lange nicht Schluss sein.

Damit ist Streetscooter nun tatsächlich der Tesla unter den Transporterherstellern. Auch wenn der Weg umgekehrt ist: Tesla zieht es von den Großen und Schönen zu den Mittleren, Streetscooter wächst vom Work über den Work L zum Work XL. Er ist der vorläufige Schlusspunkt einer rasanten Entwicklung. Erfunden durch Mitarbeiter der renommierten Hochschule RWTH Aachen, wurde aus Streetscooter erst ein eigenes Unternehmen und dann eine Tochter der Deutschen Post. Und dreht den etablierten Transporterherstellern frech ein ums andere Mal eine Nase – ausgenommen Ford.

Ein echter KEP-Profi
Die Post will ihren Fuhrpark komplett auf „grüne“ Logistik umstellen und ab dem Jahr 2050 alle Logistikleistungen emissionsfrei erfolgen. Gespräche mit etablierten Transporterherstellern verliefen ergebnislos, denn dem Vernehmen nach verlangte die Post E-Autos zum Preis von Verbrennern. Angebote wird es gegeben haben, schließlich gab es vor Jahren Mercedes Vito E-Cell und VW E-Caddy, das Muster eines Sprinter E-Cell. Und der Renault Kangoo mit Elektroantrieb ist seit Jahren eine Konstante, ebenso der Nissan E-NV 200. Also selbermachen, zunächst das skurril anmutende Urmodell Streetscooter Work anschieben, der inzwischen in einer Auflage von 3.000 Einheiten auf den Straßen läuft. Die Fertigung in Aachen arbeitet jetzt in zwei Schichten, bald wird ein zweiter Standort eröffnet. Um nun, wohl wissend um große E-Transporter von Mercedes, VW und Renault, mit dem Work XL in eine andere Liga einzusteigen.
Dessen Basis bildet der Ford Transit als Fahrgestell mit Fahrerhaus und 4,25 t zGG. Ihm pflanzt Streetscooter einen kantigen Kofferaufbau mit 20 m3 Volumen auf, damit streckt sich der Transporter auf 7,0 m Länge, 2,14 m Breite und 2,85 m Höhe. Als KEP-Profi verfügt er über einen Durchgang zwischen Fahrerhaus und Laderaum, der ist links und rechts mit jeweils zwei Regalen ausgestattet, zusätzlich sind Zurrleisten in den Boden eingelassen. Außer der Doppelflügel-Hecktür gibt es rechts eine Schiebetür mit einem tiefen Einstieg.

Transit-Fahrgestelle dieses Kalibers werden normalerweise mit Hinterradantrieb ausgeführt, hier jedoch handelt es sich um einen Fronttriebler. Ursache ist die Elektro-Antriebseinheit des Street-scooter XL. Sie wird komplett von der Post zugesteuert. Für die Motordaten gibt es zunächst vorläufige Angaben. Die E-Maschine soll bis zu 150 kW leisten und es auf 300 Nm Drehmoment bringen. Den Hersteller will Streetscooter nicht verraten. Nun, im kleineren Work stammt er von Bosch, zusammen mit Leistungselektronik und Differenzial.
Die Lithium-Ionen-Batterien sind im Bereich des Rahmens untergebracht. Die Bestückung ist modular aufgebaut, die Kapazität beläuft sich auf 30 bis 90 KWh. Daraus resultiert, so Streetscooter, eine Reichweite zwischen 80 und 200 Kilometern. Zugrunde gelegt wird ein Maximaltempo von 85 km/h, schneller geht’s in einem Viertonner ohnehin nicht vorwärts. Geladen wird per Mennekes-Stecker Typ 2. Stichwort Gewicht: Streetscooter beziffert – ohne Hinweis auf die Batteriegröße – das Leergewicht des Work XL auf 2.900 Kilo, macht 1,35 t Nutzlast.

200 Stopps pro Tag
Der Work XL kann sich auf ein hartes Arbeitsleben einstellen: Der KEP-Transporter muss am Tag bis zu 200 Stopps und Anfahrvorgänge bewältigen und ist bis zu 300 Tage im Jahr im Einsatz. Der Fahrer soll es dabei komfortabler haben als in den kleineren Work-Modellen, das Fahrerhaus verfügt jetzt über eine Heizung. Im Cockpit informiert ein „Powermeter“ den Fahrer über den aktuellen Stand der Dinge. Das Rundinstrument zeigt an, ob der Transporter lädt – etwa durch Rekuperation beim Bremsen, ob er im Eco-Modus wirtschaftlich betrieben oder forciert im „Boost“-Modus gefahren wird.
Noch rollen neben Streetscooter weit überwiegend andere Fabrikate in Gelb. Das wird sich ändern: Die Deutsche Post will bereits bis zum Jahr 2025 die eigene Abholung und Zustellung zu 70 Prozent auf lokal emissionsfreie Lösungen umstellen. Hebel ist der neue KEP-Transporter. Post-Vorstand Jürgen Gerdes: „Der Work XL ist das optimale Fahrzeug für die Paketzustellung in Großstädten und Ballungsräumen.“ Auch Ford setzt, wissend um die kommenden E-Transporter von Mercedes und VW, auf den E-Mischling: „Dieses Gemeinschaftsprodukt wird Europas größter Produzent von emissionsfreien mittelgroßen E-Transportern sein“, kündigt Steven Armstrong an, Präsident Ford Europa.
Das jedoch wird allein mit der Variante für die Deutsche Post nicht machbar sein, erforderlich ist ein Vertrieb an Dritte wie beim Work. Dieser Weg ist, so heißt es, in Überlegung, aber noch nicht endgültig beschlossen. Denn dafür müsste das Streetscooter-Signet auf dem Grill vermutlich wieder durch die Ford-Pflaume ersetzt werden. Kein Problem, der Sockel dafür ist unverändert vorhanden.