Das gibt es nur im Sprinter mit Vorderradantrieb: Ein Neungang-Automatikgetriebe verfeinert den Erfolgstransporter.
Transporter, das sind doch diese schlichten Blechdosen für handfeste Kerle? Die Schwielen an der Karosserie tragen, ebenso wie ihre Fahrer an den kräftigen Fäusten? Pustekuchen, die aktuelle Generation hat mit den rustikalen Kisten und Kästen vergangener Zeiten nichts mehr zu tun. Ein Hauptverantwortlicher für den Umschwung von der kargen rollenden Lagerhalle zum komfortablen fahrenden Arbeitsplatz ist der Mercedes Sprinter, auch jetzt in dritter Generation.
Wenn hier etwas rau ist, dann allenfalls der Diesel unter der Motorhaube. Beim Sprinter sowieso, da rackert der Mercedes OM 651. Inzwischen in den PKW-Modellen mit Stern abgelöst, darf der Vierzylinder im Transporter noch eine Zeitlang ran. Gilt Fußballtrainer Huub Stevens als „Knurrer von Kerkrade“, so ist dieser Diesel nach dem Kaltstart und im Leerlauf der Knurrer von Stuttgart. Der Vierzylinder-Langhuber arbeitet trotz Ausgleichswellen etwas ungehobelt. Dazu passt: Er ist sauber nach Euro 6c, aber nicht rein nach Euro 6d-Temp.
In den Sprinter mit Vorderradantrieb pflanzt Mercedes die Maschine quer ein, wechselt außerdem von der Querblattfeder zu McPherson-Federbeinen, verpasst dem Transporter eine sehr breite Spur und bringt dazwischen neben dem Motor alternativ zum Sechsgang-Schaltgetriebe eine Wandlerautomatik mit neun Gängen unter. Sie heißt in der Mercedes-Sprache 9G-Tronic, ist aber auch als ZF 9HP bekannt und arbeitet jetzt ebenfalls im Fiat Ducato. Eine der vom Stern gewohnten Eigenentwicklungen würde sich allein für den Sprinter nicht rechnen. Vorteil Vorderradantrieb: Neun Stufen gibt es nur hier, der hinterradgetriebene Kollege muss mit sieben Stufen auskommen. Das Getriebe verfeinert den Sprinter auf sehr elegante Weise. Ja, der Motor schreit bei hohen Drehzahlen immer noch verärgert auf. Aber das passiert mit neun automatischen Gängen viel seltener als mit sechs handgeschalteten. Stimmt, im unteren Drehzahlbereich reagiert der Diesel mitunter etwas unwirsch. Aber auch dies verhindert die Automatik geschickt. Sie hält die Maschine gekonnt auf ihrer Wohlfühldrehzahl, bei zivilem Einsatz des Gasfußes immer irgendwo zwischen etwa 1.500 und 2.500 Touren im Bereich des maximalen Drehmoments. Dies alles lässt sich prima mit dem Gas steuern, falls die Technik mal nicht blitzschnell reagiert.
Neue Möglichkeiten
Neun statt sechs Gänge ergeben ganz neue Möglichkeiten. Nun kann die Gesamtübersetzung im ersten Gang fürs Anfahren am Berg oder mit Anhänger zehn Prozent kürzer und somit dynamischer ausfallen. Und der höchste Gang fürs nerven- und spritsparende Rollen auf der Autobahn wird 15 Prozent länger. Dazwischen füllen sieben Gänge jede Lücke. Sprich: Mit Automatik sprintet der Sprinter flinker und entpuppt sich gleichzeitig als gelassener Langstreckler. Auch läuft er im Schnitt sowohl nach Norm als auch in der Praxis einige Zehntel Liter sparsamer als ohne. Macht auf der anspruchsvollen Testrunde bei Vollausladung 10,2 l/100 km plus einen Spritzer Adblue. Das ist günstig, aber nicht herausragend und liegt auch daran, dass die Technik bei Vollgas im gestreckten Galopp im achten Gang verharrt.
Die Automatik spart im Laufe seines Arbeitslebens außerdem den einen oder anderen Kupplungsschaden. Zusätzlich schont sie die Nerven des Fahrers – der hat vor allem im trubeligen Stadtverkehr anderes zu tun als im Getriebe zu rühren. Man höre sich nur die Postler und Paketverteiler an, wenn sie im ersten Gang von Haus zu Haus heulen.
Mitdenkende Automatik
Und da ist er, der nochmals erhöhte Komfort im Sprinter: Ob watteweiche Schaltmanöver oder schnelle Reaktionen aufs Gas und sinnvolle Rückschaltungen bergab, diese Automatik kann’s und denkt mit. Sofern der Fahrer sachte mit dem Pedal umgeht, lässt die Technik den Motor tapfer ziehen und verfällt nicht in hektische Schaltmanöver. Nur auf der Autobahn schaltet das Getriebe ab und zu etwas unmotiviert zurück. Schließlich geht dem beladenen Sprinter mit Hochdach in der Variante mit 105 kW (143 PS) an Steigungen oder beim Wiederbeschleunigen ab und zu die Puste aus. Durcheinander kommt das Getriebe mit seinen vielen Gängen allenfalls beim zügigen Heranfahren an Abbiegestellen oder Kreisverkehre. Dann kann es sich verheddern, reagiert auf den folgenden Gasstoß mit einem zu niedrigen Gang. Auch dauert das Anfahren an der Ampel mit Start-Stopp arg lang. Dagegen hilft ein Trick: Wenn’s absehbar weitergeht, einfach das Bremspedal leicht lüften, schon springt der Diesel an. Dazu kann der Fahrer mit einem zarten Bremsfuß bei einem sehr kurzen Stopp vermeiden, dass der Diesel in den Pausenmodus wechselt.
Die Grundeinstellung der Automatik zwischen P, R und D erfolgt per Lenkstockhebel, in der anspruchsvollen Mercedes-Sprache ein „Dynamic-Select-Wählhebel“. Diese moderne Variante der Lenkradschaltung macht Platz im Fahrerhaus. Wer will, kann zusätzlich mit Schaltpaddeln am Lenkrad eingreifen – im Alltag überflüssig.
Zusätzlich zur Automatik spendierte Mercedes dem Testwagen, was die umfangreiche Speisenkarte hergibt, Big Mac sozusagen, einmal mit allem. Zum Beispiel mit MBUX und dem großen brillanten Display – eine Nummer kleiner genügt – und der freundlichen Damenstimme: „Was kann ich für Sie tun?“ Die Assistentin reagiert schon übereifrig, etwa wenn an Bord in anderem Zusammenhang der Markenname fällt. Fix arbeitet ebenfalls die rasante Navigation, ergänzt durch Hinweise auf bevorstehendes Ungemach auf der Strecke – so wünscht man sich ein Navi.
Großzügiges Raumangebot
Gewöhnt sich der Fahrer an diese Services schnell, so verlangen die vielfältigen Tastenvarianten bei Vollausstattung des Multifunktionslenkrads deutlich mehr Aufmerksamkeit: Komplettes Ornat bedeutet jeweils sechs unterschiedliche Tasten links und rechts, dann wird gewischt, gedrückt, gescrollt. Es lohnt sich, etwa um die Feinheiten des Bordrechners zu entdecken, der bei ruhiger Fahrweise fleißig Bonuskilometer verteilt. Und wer sich durch die Innereien des großen Monitors von MBUX toucht, entdeckt grafische Darstellungen über das Auf und Ab des Verbrauchs, die Öltemperatur, den Ladezustand der Batterie. Sogar die aktuell abgefragte Leistung taucht auf – womöglich eine erzieherische Maßnahme. Bei allen technischen Finessen verschönern andere Merkmale den Alltag. Das beginnt mit dem großzügigen Raumangebot und hochwertigen Materialien in gekonnter Verarbeitung. Geht weiter mit dem bequemen Sitz, hier mit Längsverstellung des Sitzkissens und elektrisch einstellbarer Lordosenstütze. Die elektrische Grundeinstellung dagegen kann man sich sparen. Lieber ein paar Euro in das kompakte Handschmeichler-Lederlenkrad stecken. Oder in die elektrisch betätigte Feststellbremse, auch sie räumt die Kabine auf. Bereits serienmäßig lässt sich der Sprinter ohne Schlüssel starten, ebenso bringt er klar gezeichnete Instrumente mit. Und leise fährt der Sprinter obendrein, mal abgesehen von geräuschvoll abrollenden Conti-Reifen. So muss ein Mercedes sein.
Der darf als Sicherheits-Transporter gerne voller Assistenzsysteme stecken. Sehr nützlich: Rückfahrkamera und Rundum-Warner vor Hindernissen. Angenehm zurückhaltend: die Lenkvibrationen des Spurassis. Wenn’s ernst wird, schlägt er Alarm und tritt auf die Bremse. Etwas übereifrig: der Spurwechselassistent mit vielen Warnungen auf mehrspurigen Strecken. Gut abgestimmt: der Notbremsassistent, er hat im Vergleich zum Vorgängermodell dazugelernt, Fehlalarm in schnellen Kurven mit Hindernissen ist selten, allenfalls bei zügiger Annäherung an Fahrzeuge vor der Ampel reagiert er etwas nervös.
Und ESP? Das Fahrwerk des Sprinter verlangt nach intensiverer Betrachtung. Da wäre die elektromechanische Lenkung, sie arbeitet bei niedrigem Tempo gefühllos. Es braucht ein, zwei Tage Gewöhnung, bis der Sprinter-Fahrer aus Kreisverkehren nicht mehr herauseiert. Die Leichtgängigkeit hilft dagegen angesichts des großen Wendkreises beim Rangieren. Bereits leer entpuppt sich der Sprinter als ausgesprochen sanftmütiger Transporter. Beladen übertreibt er es mit dem Komfort, dann krängt er in Kurven wie ein Schiff auf hoher See. Kommen Bodenwellen hinzu, bremst ESP den Transporter zur Sicherheit rasch ein. Bei Geradeausfahrt stampft der Vorderwagen über langen Bodenwellen. Flotte Spurwechsel meistert der Transporter dagegen souverän. Der Sprinter ist sehr komfortabel und ausgesprochen sicher – aber kein Fall für empfindliche Mägen.
Er ist eben der sanfte Komfort-Transporter, vor allem mit Automatikgetriebe. Es trägt zwar einige Kilo zum fülligen Gewicht bei, aber die Vorzüge überwiegen bei weitem. Auch den Netto-Aufpreis von 2.151 Euro laut Liste. Je kürzer und komplizierter das Einsatzprofil, desto lohnender die fein abgestimmteAutomatik. Freundlicherweise wechselt sie beim Abstellen ganz von allein von Stufe D in P. War zu erwarten, schließlich fährt sich der Sprinter höchst komfortabel – ganz automatisch.
Der Sprinter als Frachter
Darf’s ein wenig mehr sein? Es darf, mehr Ladung jedenfalls. Der Sprinter mit Vorderradantrieb fasst aufgrund des 8 cm niedrigeren Ladebodens bei gleichen Außenabmessungen einen halben Kubikmeter mehr Fracht. Obacht bei der Zuladung: Obwohl rund 50 Kilo leichter als der Hecktriebler, liegt die Nutzlast nicht übertrieben hoch. Die schwere Schiebetür hat das Format eines Scheunentors und verriegelt auch geöffnet sehr sicher. An den Heckflügeltüren spart sich Mercedes mit seinen Spezialscharnieren die Aufsteller, das ist praktisch, wirkt indes nicht ganz so sicher. Der Testwagen trat mit einem sehr gepflegten, da vollverkleideten Laderaum an, einschließlich kantig überbauter Radkästen – ein Fall für wahre Hochstapler mit Kisten und Kästen. Unterstützt von Zurrschienen in Boden und Wänden, ausgeleuchtet von zwei LED-Lichtbändern unter dem Dach. Mercedes fasst dies in einem Laderaumpaket zusammen – lohnt sich. Hinzu kommen die serienmäßigen sehr handfesten Zurrösen – mit diesem Sprinter kann man trefflich einpacken. Das allerdings bereitet trotz praktischer Haltegriffe (Aufpreis) etwas Mühe, denn sowohl seitlich als auch hinten hat Mercedes Trittstufen weggelassen, zu überwinden sind leer mit nur einem Schritt rund 60 cm – das birgt Gefahr für manch straffe Hosennaht.
Randolf Unruh