Stefan Buchner präsentierte in Stuttgart mit dem neuen Mercedes-Benz E-Actros die ersten schweren Elektro-LKW für die Kundenerprobung.

Dieses Mal wurde auf dem traditionellen Jahrespressegespräch von Daimler Trucks & Buses mit dem Doppel von Martin Daum, im Vorstand der Daimler AG verantwortlich für Daimler Trucks & Buses, und Stefan Buchner, Leiter Mercedes-Benz LKW, einiges geboten: Daum trumpfte auf der Veranstaltung in Stuttgart gut gelaunt mit guten Zahlen für die globale LKW-Sparte des Konzerns auf (siehe Kasten) und leitete geschickt zu Stefan Buchner über, der mit dem E-Actros den Startschuss für eine neue LKW-Ära abfeuerte. Buchner hat eine Innovationsflotte von zehn Fahrzeugen in zwei Varianten mit 18 und 25 t Gesamtgewicht auf den Asphalt gesetzt. Darüber hinaus – das war ihm besonders wichtig – haben alle Elektro-LKW eine Zulassung für den ganz normalen Straßenverkehr und können ohne jede Einschränkung eingesetzt werden.

Im Serien-Outfit
Wer bei der Vorstellung des E-Actros einen Show-Truck im futuristischen Outfit erwartet, wird enttäuscht sein. Der E-Actros unterscheidet sich im Design praktisch nicht von den aktuellen Actros-Modellen. Geplant ist eine Erprobung mit zwei jeweils zwölfmonatigen Testrunden und unterschiedlichen Kunden. So gehen die Elektro-LKW bei Dachser, Edeka, Hermes, Kraftverkehr Nagel, Ludwig Meyer, Pfenning Logistics, TBS Rhein-Neckar und Rigterink aus Deutschland sowie bei Camion Transport und Migros aus der Schweiz an den Start. Die Kunden sind zwar in unterschiedlichen Branchen und Kategorien (von Lebensmitteln bis zu Bau- und Werkstoffen) unterwegs, sie verteilen jedoch allesamt Waren im Stadtverkehr: Genau dafür ist der E-Actros gedacht.
Weiterhin kommt der Elektro-Truck aufgrund der unterschiedlichen Einsatzszenarien als Wechselbrücken-Fahrgestelltyp zum Einsatz. Die Wechselbrücken in den Ausführungen als Silo, Kühl- und Trockenkoffer sowie Planenaufbau kommen von Schmitz Cargobull.

Hightech-Elektroantrieb
Vom Serien-Design des E-Actros darf man sich jedoch nicht täuschen lassen: Das Innenleben besteht aus einer komplett neuen Antriebsstrang-Technologie für schwere Elektro-LKW mit bis zu 200 km Reichweite, 250 kW (340 PS) Leistung und 970 Nm maximalem Drehmoment. Damit sind mit Diesel-LKW vergleichbare Fahrleistungen und Nutzlasten möglich.
Das Entwicklerteam nutzte den Rahmen des Serien-Actros als Basis für die vollständig auf den batteriebetriebenen Elektroantrieb ausgerichtete Hightech-Architektur. Gleichzeitig wurden Synergien und spezifische Teile aus der globalen Konzernplattform verwendet. So basiert die Antriebsachse auf dem Typ ZF AVE 130, die sich bereits als Niederflur-Portalachse in Hybrid- und Brennstoffzellen-Bussen von Mercedes-Benz bewährt hat. Für den E-Actros wurde jedoch der Achskörper neu konzipiert. Pro Achsseite sorgt jeweils ein radnabennaher flüssigkeitsgekühlter Dreiphasen-Asynchronmotor für den Antrieb. Der E-Motor arbeitet mit einer Nennspannung von 400 V, leistet 125 kW (170 PS) und besitzt ein maximales Drehmoment von 485 Nm. Nach der Übersetzung werden daraus 11.000 Nm. Damit liegen an den beiden Antriebsrädern der 11,5-t-Achse insgesamt 22.000 Nm an.

200 km Reichweite
Die Energie für bis zu 200 km Reichweite kommt aus Lithium-Ionen-Batterien mit einer Kapazität von 240 kWh, auch sie haben sich bereits bei der Evobus GmbH bewährt und sind im E-Actros in elf Paketen verbaut: Drei befinden sich im Bereich des Rahmens, die anderen acht unterhalb. Die Hochvolt-Batterien versorgen nicht nur den Antrieb, sondern das komplette Fahrzeug mit Energie. Damit werden zum Beispiel Nebenaggregate wie der Bremsanlagen-Druckluft- sowie der Klimakompressor und die Lenkhelfpumpe elektrisch betrieben.
Beim E-Actros lassen sich die leeren Batterien bei einer realistischen Stationsleistung mobiler Ladegeräte von 20 bis 80 kW innerhalb von drei bis elf Stunden vollständig aufladen. Als Ladestandard wurde das „Combined Charging System“ (CCS) gewählt. Das LV (Niedrigvolt)-Bordnetz mit zwei herkömmlichen 12-Volt-Batterien wird mit Hilfe eines Gleichspannungswandlers (DC-DC) aus den Hochvolt-Batterien geladen. So können unabhängig vom Hochvolt-Netz alle relevanten Fahrzeugfunktionen wie Licht, Blinker und Fahrerhaussysteme aufrecht erhalten werden. Allerdings lässt sich das Hochvolt-Netz nur bei geladenen LV-Batterien starten.

Fortlaufende Weiterentwicklung
Mercedes-Benz nutzt beim E-Actros die Förderung über das Projekt „Concept ELV²“, das die Entwicklung und Erprobung schwerer Elektro-LKW im Verteilverkehr mit rund zehn Millionen Euro unterstützt. Das Fördervorhaben umfasst die Untersuchung komplexer Herausforderungen bei Entwicklung, Aufbau und Betrieb von Elektro-LKW. Dazu gehört der Einsatz hoher Spannungen (über 400 V), hoher Ströme (bis 1.000 A), Batterietechnik (Preis, Gewicht, Haltbarkeit, Lebensdauer, Ladezeit), Reichweite und Energiebedarf. Hinzu kommen Ladeinfrastruktur und Logistikkonzepte, Sicherheitsanforderungen, Sommer- und Wintertauglichkeit sowie Fragen der Kundenakzeptanz.
Buchners Ziel ist die Markteinführung bis 2021: „Wir werden dann nicht nur das Fahrzeug auf den Markt bringen – denn wir arbeiten daran, unseren Kunden eine Gesamtlösung anzubieten. Ich kann heute noch nicht in alle Details gehen. Denn unsere Innovationsflotte wird zeigen, was unsere Kunden wirklich brauchen, um einen E-Truck optimal zu nutzen – zum Beispiel: Service, Ladegerät, Lademanagement, intelligentes Betreibermanagement, bis hin zur Rücknahme gebrauchter Trucks. Auf Basis dieser Erkenntnisse können wir dann entscheiden, was wir als Gesamtpaket anbieten werden.“

Faszinierende Fahreindrücke
In Stuttgart nutzten wir die Gelegenheit, den neuen Antrieb für schwere LKW als Beifahrer kennenzulernen. Für die Probefahrten wurde mit der „Einfahrbahn“ in der Stuttgarter Konzernzentrale ein besonderer Ort gewählt. Gefahren wurde mit einem Dreiachser für 25 t Gesamtgewicht, allerdings ohne Zuladung. Erstaunlich, wie das Fahrzeug mit leisem Summen nach vorne strebt. Mehr ist vom Antrieb, sowohl in der Kabine als auch außen, nicht zu hören. Der kräftige Spurt vom Stand weg auf maximale Geschwindigkeit in einem Zug und ohne jegliche Unterbrechungen war für mich einfach faszinierend.
Auch mit dem E-Canter durfte auf der Einfahrbahn eine Runde gedreht werden: Der summende Elektroantrieb sorgte ebenfalls für einen kräftigen Spurt vom Stand weg. Immerhin stellt der E-Motor für den 7,5-Tonner eine Leistung von 185 kW (252 PS) und ein maximales Drehmoment von 380 Nm zur Verfügung. Auf der Probefahrt fiel weiterhin auf, dass die dritte Canter-Generation beim Interieur mehr Platz und ein elegantes Armaturenbrett sowie eine verbesserte Fahrwerksfederung zu bieten hat.

Adelbert Schwarz