Auch im Verteilergeschäft rund um den Kirchturm möchte Volvo punkten. Hier setzen die Schweden auf gewichtsoptimierte FE-Modelle, die der Kunde mit dem stärkeren 350-PS-Diesel bestellen kann. Keine schlechte Wahl, wie unser Test zeigt.
Ein mittelschwerer Volvo, gibt’s denn so was?“ Der befragte Fuhrparkmanager kennt zwar durchaus die schweren FH- und FM-Fahrzeuge aus Göteborg, aber ein FE oder gar ein FL ist ihm noch nicht untergekommen. Dabei gehört die leichtere Garde schon seit vielen Jahren zum Volvo-Sortiment.
Unseren letzten FE-Test hatten wir 2009 im Heft. Der eine oder andere Experte wird sich erinnern: Volvo-Verteiler gab’s schon zu Zeiten der Vierer-Club-Fahrerhäuser, auch Volvo hatte diese Gemeinschaftsentwicklung genutzt. Heute greifen die Schweden auf ihre Konzernplattformen aus Frankreich zurück. Bei Renault Trucks gibt es vergleichbare Modelle, nur der stärkste Achtliter-Sechszylinder mit 350 PS bleibt der Premium-Marke Volvo vorbehalten.
Alles vom Feinsten
Auf den ersten Blick macht unser Volvo FE eine prima Figur. Alles vom Feinsten: Mit edler Metalliclackierung, polierten Alurädern und fein integriertem Kofferaufbau inklusive Rahmenvollverkleidung sieht der Schwede nicht nach profanem Verteilergeschäft aus. Der Spier-Thermokoffer schiebt gerundete Kanten gegen den Wind, der Aufbau nutzt in puncto Innenbreite und Innenhöhe auch nicht das Maximum, das möglich wäre. Immerhin 18 Europaletten oder 30 Rollbehälter lassen sich darin sicher stauen. Der zehn Meter lange Volvo darf inklusive 2-t-Ladebordwand gut 15,5 t zuladen – an den Start geht der Dreiachser vollbeladen mit 26 t.
Trotz des veredelten Outfits ist auch schnell klar, dass der FE schon etliche Jährchen Markterfahrung gesammelt hat. Das hat er mit den meisten Wettbewerbern gemeinsam, im mittelschweren Verteilergeschäft mit geringen Laufleistungen herrschen andere Gesetzmäßigkeiten. Aber so manche Eigenheit der schlanken Volvo-Kabine hat auch heute noch ihren Charme. Beispielsweise der vorbildliche Einstieg, schön treppenförmig geht es nicht zu weit nach oben. Und wenn die Verglasung der rechten Fahrerhaus-Seite ins Spiel kommt, sehen auch jüngere Wettbewerber plötzlich ziemlich alt aus.
Im Verteiler-Volvo sieht der Fahrer rechts die Passanten an der Straßenkreuzung, dort wo es beengt zugeht, im städtischen Umfeld, am Ladehof will man die zusätzlichen Scheiben nicht mehr missen. Das mittellange Komfort-Fahrerhaus mit 2 m Länge bietet genug Platz auf und hinter den Sitzen – sie kostet nur wenig Nutzlast, also mitbestellen. Im Cockpit muss sich der Volvo-Fahrer an französische Eigenheiten gewöhnen. Wie den Dauerbremshebel links am Lenkrad, das etwas groß ausfällt. Oder die Getriebe-Bedienung per Lenkstockhebel, aber mit recht spezieller Logik. Dafür kann der Fahrer nicht nur auf eine Rückfahrkamera, sondern auf eine Rundumbeobachtung zählen. Wer in der Stadt rangiert, ist hier auf der sicheren Seite.
Rau, aber kräftig
Werfen wir noch einen Blick unters feine Blechkleid, hier gibt es noch einige Spezialitäten zu entdecken. Zuerst das Dieseltriebwerk unter der Kabine: ein Reihensechszylinder mit der Bezeichnung D8K350, die Ziffer zuletzt steht für die gebotene Nennleistung. Mit 7,7 Liter Hubraum ist der Motor für 350 PS gut und für maximal 1.400 Nm. Ein echter Leichtathlet mit 45,45 PS pro Liter und scheinbar ein angesagtes Motorformat, das man auch bei Daimler mit ähnlichen Leistungsdaten findet.
Dieser Konzernmotor soll bei Nissan in Japan entwickelt worden sein, er macht jetzt auch in anderen Volvo-Sparten und -Marken Karriere.
Die gekippte Kabine gibt auch die Getriebebestückung preis, hier schaltet eine I-Shift-Box, die mit zulässigen 2.400 Nm Eingangsmoment auch bei den schweren Kollegen Dienst schiebt. An der Vorderachse sehen wir Luftbälge, der Volvo-Dreiachser fährt also vollluftgefedert vor. Eben einen Tick feiner als andere, gleich muss sich der Volvo auf unserem Riesenslalom in der Landstraßensektion bewähren. Wenn der nordische Dreiachser im Winter mal um Traktion ringt, kann er seine Nachlaufachse entlasten und bei Leerfahrt liften. Sie lenkt übrigens elektrohydraulisch mit, bis zu 17 Grad vorwärts und rückwärts, ab 38 km/h spurt sie gesperrt stoisch geradeaus. Und natürlich besitzt der Volvo FE einen Notbremsassistenten, die Schweden sprechen hier von Kollisionswarnung und Notbremsfunktion. Der Assistent analysiert die Verkehrssituation mithilfe einer Kamera und Radarsensoren. Seine Funktion wird bei jedem Fahrzeugstart aktiviert und arbeitet ab einer Geschwindigkeit von 15 km/h.
Jetzt aber genug der Theorie, jetzt darf der franko-schwedische Verteilerspezialist auf die Piste. Nach der Waage an die Tankstelle, dann sind alle Instrumente auf Null gestellt. Denn natürlich wollen wir wissen, was der kräftige Solodreiachser auf den einzelnen Etappen konsumiert. Schon auf den ersten Metern ist klar, dass der FE in Sachen Laufkultur den FH-Boliden, aber auch mit dem altbewährten FM nicht das Wasser reichen kann. Denn der Achtliter-Sechszylinder bollert schon mächtig unter der Kabine. In Leerlauf läuft er nicht gerade wie ein Glöckerl und so rund der gleichgroße Sternkollege (OM936).
Bei niedrigen Drehzahlen grollt er wie ein Großdiesel, um sich beim Antritt aber seltsam zögerlich zu geben – hat die Fuhre etwas Schwung, zeigt sich der Volvo durchaus von seiner kräftigen Seite. Schließlich ist der Dreiachser mit 26 t unterwegs, wir überschlagen kurz: Jede Volvo-Pferdestärke muss 743 Kilo ziehen. Und zwar über niederbayerische Landstraßen mit zahlreichen Steigungen, Ortsdurchfahrten und zwischendurch auch Landmaschinen, die es zu überholen gilt. Das Leistungsangebot reicht allemal, auch wenn das I-Shift-Getriebe vielleicht nicht so souverän schaltet wie in den schweren Volvos. Nicht so schnell, eher komfortabel, auch beim Rangieren fällt der Hang zur Grobmotorik auf. Aber die Übersetzungen passen stets, so kann sich der Fahrer aufs Lenken konzentrieren.
Viel Kurbelarbeit
Eigentlich macht sich der Dreiachs-Volvo ja ziemlich gut auf den kurvigen Landstraßen minderer Ordnung – die man hier überall findet. Der 10-m-Volvo passt überall durch, mit der gelenkten Nachlaufachse wäre er wieselflink. Aber die sehr indirekte Lenkung fordert den Fahrer in schnellen Wechselkurven mit viel Kurbelarbeit am großen Lenkradteller – auch weil die letzte Präzision und die Rückstellkräfte fehlen. Dann fährt man eben langsamer, auf geraden Strecken geht der Volvo mit sauberem Geradeauslauf besser zur Hand. Mit 65 km/h serviert der Getrieberechner den 12. Gang, in der Ebene surft der Fahrer mit 1.200 Touren und schont seine Nerven. Auch das Kraftstoffbudget, der relativ kurz übersetzte Schwede honoriert eine zurückhaltende Leistungsabfrage.
Durchschnittlich 30 Liter sprechen dafür, dass der Volvo kein großer Trinker ist. In der Praxis können die Verbräuche niedriger ausfallen, denn schon nach der ersten Abladestelle muss der Volvo weniger Gewicht schleppen. Eine Schokoladenseite des Volvo ist sein Federungskomfort. Selbst auf miesen Fahrbahnoberflächen steckt er schlimme Brecher weg, das Fahrwerksystem mit seinen acht Luftbälgen und Stabilisatoren an allen Achsen ist sorgfältig abgestimmt. Er wankt nur wenig und nickt kein bisschen, ein Fall für sensible Ladungen.
Ein gutes Gefühl der Sicherheit vermitteln die Bremsen. Sie verzögern feinfühlig-sanft oder kraftvoll, immer gut berechenbar. Ein gutes Gefühl, ESP ist immer an Bord, auch wenn wir keinen Bremseingriff zu notieren hatten. Die Motorbremse offenbart auf langen Abfahrten Schwächen, mit maximal 170 kW hat sie den 26-Tonner nicht immer im Griff. Erst recht nicht im gelegentlichen Anhänger-Betrieb, der mit dieser Motorleistung schon möglich sein sollte.
Unter dem Strich
Im Nah- und Verteilerverkehr fährt man hierzulande gern Mercedes oder MAN. Nicht ohne Grund, die Platzhirsche am Markt hegen und pflegen ihre Kunden mit teils sehr individuellen Fahrzeugkonzepten. Hier fällt es Volvo schwer, mit dem FE dagegenzuhalten. Zumal die Schweden nicht mit der Modernität ihrer schweren FH-LKW glänzen können.
Keine elektrische Feststellbremse, keine elektrohydraulische VDS-Lenkung – und genau hier sehen wir eine signifikante Schwachstelle. Die nicht mehr taufrische Kabine bietet auch heute genug Raum für Fahrer und Begleiter, ihre Übersichtlichkeit ist beispielhaft, bitte nicht verschlimmbessern. Nutzlast, Leistung und auch der Komfort sind noch zeitgemäß, aber die Erwartungen an einen Premiumanbieter sind hoch: Wenn die Schweden im Revier der Platzhirsche wildern möchten, müssen sie mehr zu bieten haben.
Technische Daten
Motor
Reihensechszylinder D8K350, vier Ventile pro Zylinder, Common-Rail-Einspritzung, VTG-Turbolader, Ladeluftkühlung, Abgasgrenzwerte nach Euro 6c, SCR only.
Hubraum 7.700 cm³
Nennleistung 350 PS (258 kW) bei 2.200/min
Max. Drehmoment 1.400 Nm bei 1.200 bis 1.600/min
Kraftübertragung
Automatisiertes 12-Gang-Getriebe Volvo I-Shift Typ AT2412F; Übersetzungen von 14,94 bis 1,0, Hypoidachse mit Übersetzung i = 2,26
Fahrgestell
Vorn: Starre Faustachse, 8,0 t max. Achslast, ECAS-Luftfederung, Stabilisator; hinten: starre Hypoidachse Volvo RSS1344D, 13,0 t max. Achslast, 4-Balg-Luftfederung, elektrohydraulisch gelenkte Nachlaufachse; 7,5 t Traglast, 2-Balg-Luftfederung; Bereifung rundum 315/70 R 22,5
Bremsen, Sicherheitssysteme:
Elektronisches Bremssystem EBS, Volvo-Scheibenbremsen an allen Achsen, Motorbremse mit max. 170 kW. ESP, ABS, ASR, Spurhalteassistent, Notbremsassistent.
Maße und Gewichte:
Lange x Breite x Höhe 9.990 x 2.550 x 3.742 mm
Radstand 4.500 + 1.350 mm
Tankinhalt 415 l
Adblue-Gehälter 32 l
Leergewicht (lt. Hersteller) 10.430 kg
zul. Gesamtgewicht 26.000 kg
Messwerte
Testgesamtgewicht: 25.980 kg (inkl. Fahrer, Kraftstoff, Adblue)
Verbrauch und Geschwindigkeit
Strecke, Verbrauch, Geschwindigkeit
(l/100 km), (km/h)
Landstraße leicht 26,35, 53,8
Landstraße mittelschwer 32,14, 51,5
Landstraße schwer 33,87, 48,3
Autobahn mittelschwer 27,18, 80,2
Gesamtverbrauch 30,31 l/100 km
Wolfgang Tschakert