Heute der E-Vito, morgen der E-Sprinter, übermorgen ein Sprinter F-Cell mit Brennstoffzelle, ein Elektrotransporter mit großer Reichweite. Das Thema E-Mobilität ist in jeder Beziehung spannend.

Heute zeigt sich der Himmel über Hamburg von seiner besten Seite. Kein Nieselregen, keine dunklen Abgasschwaden eines versehentlich Schweröl verbrennenden Schiffs. Ergebnis ist ein Suchbild, blauer Sprinter vor blankgeputztem blauen Himmel.

Und im Hintergrund erhebt Elphi, die Elbphilharmonie, ihr gezacktes weißes Haupt. Sauberes Blau und jungfräuliches Weiß stehen ebenfalls für reinliche Autos, hier tauchen gleich drei Varianten auf. Zwei, der neue Mercedes E-Vito und der noch viel neuere E-Sprinter, sind antriebsseitig batterieelektrisch angetriebene Zwillinge. Der Dritte im Bunde gehört ebenfalls zu den Elektrikern, es steckt ebenso eine Batterie drin, doch mit seinem Brennstoffzellenantrieb schnurrt er lässig an seinen Geschwistern vorbei, während sie noch am Ladekabel hängen.

Doch bis dahin werden noch viel Strom durch die Leitungen und einiges Wasser die Elbe hinabfließen.

Der Transporter von heute heißt Mercedes E-Vito. Bestellbar ist er seit geraumer Zeit, ausgeliefert wird ab Herbst dieses Jahres. Noch preist Mercede-Benz das Einführungsangebot an, für 39.990 Euro erhalten die ersten 1.000 Exemplare des E-Vito eine Wallbox mit Montage spendiert.

Unter der Haube steckt ein Elektromotor mit 84 kW Leistung und 300 Nm Drehmoment, der Strom sammelt sich in drei Batteriepaketen mit zusammen 41 kWh Kapazität unter dem Boden.

3,2 t zGG, eine Nutzlast von knapp mehr als einer Tonne, alles zusammen lieferbar in den Lang-Ausführungen des Kastenwagens mit 5,14 und 5,37 m. Unter dem kurzen Vito wäre zu wenig Platz, für die angepeilte Kundschaft vom Handwerkern bis KEP-Diensten reicht auch das Ladevolumen nicht aus.

E-Vito: weiterentwickelt
Seit seiner Weltpremiere im Herbst hat sich der E-Vito weiterentwickelt. Eine superstarke Variante mit 140 kW Leistung ist wieder hinter dem Horizont verschwunden. Aber jetzt kann der Fahrer per Tastendruck zwischen den drei Fahrmodi C, E und E+ wählen. Die Vollfett-Ausführung „C“ kennt bei Antritt und Klimatisierung keine Hemmungen, der Transporter wird zwar nicht zum Sport-, aber doch zum Spurtwagen, fegt temperamentvoll an den Klinkerwänden der Speicherstadt vorbei. „E“ fährt sich weniger schneidig, aber angemessen.

„E+“ steht für die Diätausführung, gedrosselt auf 70 kW und 270 Nm. Zum Mitschwimmen auf dem flachen Hamburger Geläuf reicht’s allemal.

Einhalt gebietet die fix einstellbare Höchstgeschwindigkeit von 80, 100 oder 120 km/h, das passt für die meisten Lebenslagen. Schließlich ist der E-Vito mit einer Reichweite von rund 150 Kilometern nach dem strengeren neuen Zyklus WLTP kein Langstreckenrenner – fern, schnell, gut ist anders. Macht nichts, auch für kurze Etappen gibt es reichlich Jobs.

Die Fahrtrichtung gibt ein Lenkstockhebel vor, bekannt aus aktuellen Mercedes-Fahrzeugen mit Automatik. Verzögert wird per Rekuperation. Sie ist nicht etwa dem Bremspedal vorgeschaltet, sondern vierstufig per Schaltpaddeln vierstufig einstellbar: D-, D, D+ und D++.

Die Spanne reicht vom deutlichen Verzögern bis fast zum Stillstand in D- bis zum nahezu freien Dahinsegeln in D++. Gewöhnungsbedürftig ist die Kenzeichnung der Paddel: Das Minus-Zeichen steht für höhere, das Plus-Zeichen für geringere Rekuperation. Am Steuer flackert die Frage auf: Nutzen Fahrer im trubeligen Stadtverkehr diese Möglichkeiten? Der Fahrer hat die Reichweite im Blick: Statt des hier überflüssigen Drehzahlmessers zeigt ein Powermeter die abgeforderte Leistung und die Stärke der Rekuperation, oben im Display tauchen Angaben für Batteriestand, Reichweite und die zur Verfügung stehende Reichweite auf.

Elektromobilität kann ganz einfach sein.

Und so schleicht der E-Vito auf leisen Sohlen durch die Hamburger Hafencity und erschreckt mit seinem dezenten Auftritt unaufmerksame Fußgänger.

Die EU schreibt künftig einen Soundgenerator vor, es wird kein kräftiges Nebelhorn sein. Arbeit bekommen nicht nur die Sound-, sondern auch die Karosserie-Entwickler: Wegen der flüsternden Antriebsgeräusche dringt auf rüdem Kopfsteinpflaster plötzlich Knistern durch, das bisher niemand bemerkt hat.

E-Sprinter: Premiere in Hannover
Mit der identischen Technik wird Mercedes auch den größeren Sprinter ausstatten, er feiert seine Premiere im September auf der IAA.

Leistung und Drehmoment passen im Nahverkehr auch für den 3,5-Tonner. Aber wegen des höheren Gewichts und der fülligeren Karosserie steigt der Verbrauch. Daher spendiert Mercedes dem E-Sprinter einen vierten Satz Batterien.

Das ergibt 55 kWh Kapazität, schon ist die angestrebte Reichweite von 150 Kilometern wieder da. Platz macht die Kombination aus dem riesenlangen Radstand des großen Sprinter-Fronttrieblers mit dem zehn Zentimeter höheren Ladeboden des Sprinter-Hecktrieblers.

Die Zuladung schrumpft durch diese Operation allerdings auf 900 Kilo, auch steigt zwangsläufig der Preis. Wer also mehr Zuladung benötigt und weniger ausgeben will, wählt den E-Sprinter mit dem Dreier-Batteriepaket von 41 kWh aus dem E-Vito.

Schon steigt die Nutzlast um 140 Kilo, allerdings sinkt die Reichweite auf nur noch 115 Kilometer. Elektromobilität ist doch nicht so einfach, hier aber lässt sie sich auf den Einzelfall maßschneidern.

Was heißt das in der Praxis? Nicht nur die Technik ist identisch, auch die Bedienung vom Lenkstockhebel für die Fahrtrichtung über die Rekuperationspaddel bis zur fixierbaren Höchstgeschwindigkeit und den Fahrmodi – warum auch neu erfinden, was im E-Vito funktioniert. Auch hier gibt es ein Powermeter und zusätzliche Anzeigen im Display.

Das Fahrverhalten indes ändert sich. Liegt schon der E-Vito mit seinem dank Batterien niedrigen Schwerpunkt satt auf der Straße, so ist der Unterschied beim E-Sprinter zum Ausgangsmodell noch größer.

Ebenfalls spürbar: Die elektrische Lenkung entspricht in ihrer Auslegung dem Basisfahrzeug. Somit steuert sich der E-Vito bei niedrigen Geschwindigkeiten straffer als der dann etwas gefühllose E-Sprinter.

Über die Preise des E-Sprinter schweigt sich Mercedes noch aus. Sollte die Marke beim E-Sprinter die gleiche Strategie wie beim E-Vito verfolgen, müsste der elektrifizierte Sprinter netto irgendwo zwischen 45.000 und 50.000 Euro landen.

Leise ist gefährlich: Die EU schreibt künftig einen Soundgenerator vor, es wird aber kein kräftiges Nebelhorn sein.

Sprinter mit Brennstoffzelle: noch Zukunftsmusik
Noch ganz weit weg von einer Preisvorstellung ist das dritte Mitglied des E-Trios, der Sprinter mit Brennstoffzelle. Er fährt als Reisemobil vor. Damit will Mercedes Diskussionen über Wirtschaftlichkeit umgehen – vermögende Privatleute gönnen sich für ihr Hobby eher avantgardistische Technik als hart kalkulierende gewerbliche Kunden. Gleichzeitig definiert sich das Einsatzgebiet: Es geht um die Erweiterung der Elektromobilität ohne tonnenschwere und teure Batteriepakete auf Langstrecken, konkret auf mehr als 500 Kilometer Reichweite.

Hier weicht die Technik von den E-Kollegen deutlich ab: Anstelle von Verbrennungs- oder Elektromotor nimmt unter der Haube die Brennstoffzelle Platz, eigentlich ein Konglomerat von zusammen 412 Zellen mit einer Leistung von 75 kW. Ein elektrisch angetriebener Turbolader liefert die notwendige Luft.

Das Package erinnert verblüffend an einen Verbrenner. Unter dem Wagenboden sowie im Heck sind vier Tanks mit zusammen 7,4 kg Wasserstoff angeordnet. Sie stehen unter einem beachtlichen Druck von 700 bar.

Unterflur steckt ebenfalls eine Batterie als Zwischenspeicher für den Strom, ihre Kapazität beläuft sich auf 9,2 kWh. Als Plug-in kann dieser Sprinter auch am Kabel vorgeladen werden. Der Elektromotor erreicht eine deftige Leistung von 147 kW und ein Drehmoment von 350 Nm.

Er ist hier mittig zwischen den Hinterrädern an der Stelle des herkömmlichen Differenzials angeordnet. In Leistung und Reichweite erreicht der Sprinter F-Cell somit das Niveau eines kräftigen Dieselantriebs. Mit einem Mehrgewicht von 200 Kilo ist er auch in diesem Punkt nicht weit von ihm entfernt.

Woher aber kommt der Sprit für die Brennstoffzelle? Zurzeit gibt es in Deutschland knapp 50 Wasserstoff-Tankstellen, in fünf Jahren soll sich ihre Zahl auf etwa 400 Zapfmöglichkeiten erhöhen.

Europaweit sieht das Netz indes extrem dünn aus – realistischer als eine Tour im Reisemobil ist daher der Betrieb der Brennstoffzelle in Minibussen oder auch auf definierten Routen von Kurieren im Langstreckeneinsatz.

Über den Energie-Einsatz zur Wasserstoffgewinnung lässt sich dann lange diskutieren. Wasserstoff aus Erdgas? Dann bitte gleich Gasmotoren, die Daimler allerdings gestrichen hat. Wasserstoff aus Strom?

Funktioniert, klingt allerdings ebenfalls wie von hinten durch die Brust geschossen. Ehe allerdings Windräder wegen Überkapazität stillstehen und Strom billigst ins Ausland weitergeleitet wird, kann man ihn in Wasserstoff verwandeln. Damit nicht nur der Himmel über Hamburg und den E-Transportern mit Stern wie blankgeputzt ist.

Heiß und kalt
Hohen Aufwand steckt Mercedes in das Thermomanagement seiner E-Transporter. Die verwendeten Lithium-Nickel-Mangan-Cobalt-Oxide-Batterien, in Fachkreisen kurz als NMC bezeichnet, stammen aus eigenem Anbau vom Daimler-Tochterunternehmen Accumotive im sächsischen Kamenz.

Mercedes gibt ihnen eine Garantie von acht Jahren oder 100.000 Kilometer auf knapp 80 Prozent Kapazität mit. Die Batterien werden mittels einer ins Gehäuse integrierten Platte flüssigkeitsgekühlt und in Nähe einer behaglichen Temperatur gehalten.

Das verbessert ihre Lebensdauer, Ladefähigkeit und Kapazität. Eine Wärmepumpe halbiert etwa den Einsatz der Energie für Heizung und Klimatisierung, kühlt ebenfalls die Batterien. Die Ingenieure nutzen außerdem die Abwärme von Batterie und Fahrerhaus.

Eine serienmäßige Sitzheizung (Verbrauch etwa 150 Watt) führt Wärme direkt an den Körper, damit kann die Kabinenheizung (Verbrach rund 1.000 Watt) stromsparend herabgesetzt werden. Hängen die Transporter an der Ladesäule, lassen sie sich zum Start punktgenau vortemperieren.

E-Mobilität – so klappt‘s
Genügt die Reichweite, oder langt sie nicht? Was kostet E-Mobilität eigentlich? Potenzielle Umsteiger haben viele Fragen – und entscheiden sich dann womöglich sicherheitshalber erneut für einen Verbrenner.

Mercedes hilft mit einer App: Sie nimmt die Daten der Touren auf und kalkuliert, ob sie sich per E-Transporter umsetzen lassen. Entfernung, Ladezustand an Start und Ziel, alle wesentlichen Parameter fließen ein. Sogar die Außentemperatur dient als Element der Kalkulation und lässt sich als Variable eingeben – Heizung und Klimatisierung kostet schließlich Strom und somit Reichweite.

Als nächstes wird Mercedes einen Kostenrechner installieren. Anschaffungspreis und Servicekosten spielen eine wichtige Rolle, Haltedauer und Kilometerleistung sowie Versicherung, der Stromtarif gegen Dieselpreis.

Hier liegt der entscheidende Punkt: Wer einen günstigen Stromtarif nutzt, kann bei vergleichsweise hoher Kilometerleistung mit einem E-Transporter schon heute günstiger fahren als mit Dieselmotor.

Vor allem bei Flotten lässt sich an den Stromkosten feilen: Intelligente Ladetechnik im Betrieb staffelt die Ladezeiten abhängig von individuellen Einsatzzeiten und der Batteriefüllung. Das vermeidet eine Überlastung oder eine teure Aufstockung der Anschlussleistung und teure Spitzentarife. Nachrechnen lohnt sich also.

 

Randolf Unruh