Als Gegenpol zu Antos & Co. stellt Renault Trucks den D Wide ins Schaufenster. Wir haben ihn als schweren Getränkeverteiler verkostet und ihm dabei genau unters Hemd geschaut.
Hierzulande fährt man Mercedes oder MAN, vor allem in der Getränkebranche setzen die Kunden gern auf hiesige Produkte. Aber jetzt, wo die Fahrzeugkonjunktur brummt und die Lieferzeiten wachsen, muss sich der Verteilerkunde oft gedulden, wenn er einen neuen Truck benötigt. Da empfiehlt sich schon mal ein Blick über den Tellerrand – schließlich gibt es ja auch andere Hersteller, die interessante Angebote machen.
Wie Renault Trucks beispielsweise, die Franzosen mit ihrem in Deutschland schmalen Marktanteil gehen gerne zur Hand. Sie verfügen ja über eine breite und beinahe lückenlose Produktpalette, man kennt sie nur zu wenig. Dabei ist das Renault-Programm ja schon lange auch in Deutschland verfügbar. Vielleicht, weil die bekannt-bewährten Trucks mit der Raute heute andere Namen tragen. So wie unser Proband: Einst hieß er „Premium Distribution“, jetzt wird er als „D wide“ geführt und trägt er die Bezeichnung des 2,3 m breiten Fahrerhauses.
Das wird ebenso wie die 2,1 m schlanke Variante (D 2,1 m für 10 bis 18 t zGG) in großen Stückzahlen in Nordfrankreich gebaut wird. Beide werden auch von DAF und von Volvo genutzt, und zwar schon seit vielen Jahren.
Einstieg und Übersicht top
So verwundert es auch nicht, dass unser Proband nicht brandneu aussieht. Was er übrigens mit so manchem Wettbewerber gemeinsam hat, im mittelschweren Verteilergeschäft führen die Produkte meist ein langes Leben. Das muss in unserem Falle kein Nachteil sein. Denn wenn sich die Tür öffnet, gibt der Renault seinen sehr bequemen Einstieg frei. Schön treppenförmig geht es nicht weit nach oben, die eher schmale Tür schwenkt beim Öffnen nicht zu weit nach außen. So erleichtert der Franzose seinem Fahrer das Leben – im Verteilerverkehr muss man ja oft rein und raus. Die mittellange Kabine ist eine Empfehlung wert, sie kostet nur wenig Nutzlast. Im Stauraum hinter den Sitzen und mit der Box an der Rückwand hat man alles geordnet an Bord, was man den lieben langen Transporttag so braucht.
Aber zuerst die übliche Rundumschau: Mit mehr als 11 m Gesamtlänge ist der schwere Verteiler-Dreiachser schon ein Maximalist. Der 26-Tonner trägt auf dem Rahmen einen praxistauglichen Getränkeaufbau von Böse mit Schwenk-Seitenwänden aus Aluminium. Mit nur drei Handgriffen öffnen sich die Seitenwände nach unten und nach oben. Dann lässt sich der fast 9 m lange Aufbau in einem Rutsch mit dem Stapler be- und entladen. Oder von Hand, allerdings liegt die manuelle Entnahmehöhe dann weit jenseits der 1.000-mm-Marke. Dafür gibt es die Ladebordwand von Bär im Heck, die bis zu 2 t verträgt. Ja, im Getränke-Verteilerverkehr geht es nicht so sehr um viele Kilometer, sondern um häufigen Ladungsumschlag. Schon deshalb darf der Antrieb eine oder sogar zwei Stufen kleiner ausfallen. Schließlich transportiert der LKW nur zur Hälfte die volle Nutzlast, zurück geht es leer oder mit Leergut teilbeladen.
Mehr als 320 PS gibt es nicht
Auf der Waage zeigt der Renault seine Nehmerqualitäten, er packt legal 15,2 t, die er fürs Vollgut auch braucht. Der Kunde hat die Wahl, mit kürzerem Radstand und Aufbau steckt er eine halbe Tonne mehr weg. Und geht es um Effizienz, ist der Dreiachser dem Zweiachser vorzuziehen. Mit einer Achse mehr transportiert er ein gutes Drittel mehr Nutzlast, in der Getränkelogistik ist das ein Wort.
Genug der stationären Betrachtung, jetzt soll sich der deutsch-französische Getränkebolide auf der Straße beweisen. Auf die übliche Verbrauchsmessung verzichten wir diesmal, der Dreiachser hat nur Leergut an Bord. Inklusive Ladung wiegt der Renault nur 13, 5 t, damit hat der 320 PS starke DTI 8 Reihensechszylinder ein leichtes Spiel. Der halbstarke Diesel mit 7,7 l Hubraum ist noch ein relativ junges Aggregat, es wurde vor wenigen Jahren und fast zur selben Zeit wie der OM 936 von Mercedes präsentiert. Nicht dass Sie jetzt falsche Schlüsse ziehen, mit Daimler hat man im Volvo-Konzern nichts am Hut. Aber die Parallelen sind schon beachtlich: das gleiche Motorformat – und natürlich vergleichbare Leistungs- und Drehmomentdaten. Natürlich findet man die Maschine auch in Volvo-Produkten: in FL- und FE-Trucks, auch in Volvo-Omnibussen und -Baumaschinen.
Ein universeller Diesel also mit modernen Maschinenbau-Attributen, Renault Trucks bietet ihn mit Leistungen von 250 bis 320 PS an, die Topvariante wuchtet dann bis zu 1.200 Nm Drehmoment auf die Kurbelwelle. Ein bisschen mehr kann der Volvo-Zwilling FE: Dem gestehen die Konzernstrategen 350 PS und bis zu 1.400 Nm zu.
Kraft genug fürs Sologeschäft
Nach so viel Theorie darf der Tester endlich hinters Steuer. Er sitzt nah am großen Lenkradkranz, der nicht sonderlich gut zur Hand geht. Ein riesiger Pralltopf, man kann das Volant nicht steil stellen, es kommt eben aus einer anderen Zeit. Aber über die exzellente Übersicht kann niemand meckern, und gerade das zusätzliche Fenster in der Beifahrertür ist ein einfacher Beitrag zu mehr Sicherheit beim Rechtsabbiegen.
Mit dem ersten Dreh am Zündschlüssel läuft der DTI 8, er klingt wie ein großer Diesel. Aber nicht eben leise und durchaus mit Erlebniswert, der Fahrer hört und spürt, was sich unter ihm tut. Kraft hat er genug fürs Sologeschäft, daran gibt es keine Zweifel. Auch weil der Sechszylinder seine maximalen 1.200 Nm an ein automatisiertes Optidriver-Getriebe liefert. Die Typbezeichnung dahinter offenbart, dass hier eine I-Shift-Box von Volvo agiert. „… Aber mit eigener Renault-Schaltsoftware“, korrigiert sofort unser Testbegleiter.
Die Techniker haben jedenfalls gute Arbeit geleistet, die Abstimmung ist trotz ellenlanger Antriebsachse gut gelungen. Nur 1.400 Umdrehungen werden dem Sechszylinder bei Tempo 85 abverlangt, auf ebener Landstraße bei 60 km/h sind es nur 980 Touren im 12. Gang. Und dennoch: Die Anschlüsse passen, der Dreiachser kommt gut vom Fleck. Schaltgeschwindigkeit und Schaltkomfort geben sich die Waage, die leichte Transportaufgabe stellt den Antriebsstrang vor keine Probleme.
Wer gelegentlich einen Anhänger mitziehen will, sollte zu einer kürzeren Antriebsachse greifen – allein schon, um die Dauerbremsleistung zu erhöhen, mit 170 kW ist die Motorbremse ja nicht sonderlich kräftig. Unser Dreiachs-Verteiler soll Zuggesamtgewichte bis 36 t packen, dann aber bitte nur im Flachland.
Indirekte Lenkung
Über Land ist der „D wide“ ein angenehmer Gefährte. Mit langem Radstand hält er stoisch die Spur, wo es eng hergeht, lenkt die hydraulische Nachlaufachse mit – für zusätzliche Traktion auf schneeglatten Straßen lässt sie sich fürs Anfahren auch liften oder entlasten. Etwas Gewöhnung erfordert die leichtgängige Lenkung mit ihrer sehr indirekten Übersetzung, um auf kurvigen Landstraßen Kurs zu halten. Auch die fehlenden Rückstellkräfte sind nicht mehr State of the Art. Dafür federt der blatt-luftgefederte Dreiachser recht kommod, typisch französisch eben – und liegt doch satt auf der Straße.
Nach einigen Kilometern kommt man mit den französischen Eigenheiten zurecht, dem Dauerbremshebel links und der Getriebewähl-Logik. Den sonst üblichen GPS-Tempomaten haben wir nicht vermisst, im urbanen Verkehr und Landstraßen hat er nur wenig Nutzen. Aber ohne Kraftstoff segeln kann er in den vielen Rollphasen, wenn der Fahrer vom Gas geht, und zwar auch ohne Tempomat. „Fuel Eco“, nennt unser Testbegleiter die neue Schaltstrategie, sie soll den „D wide“ im Verteilerverkehr noch ein Stückchen sparsamer machen.
Unter dem Strich
Keine Frage, mit den Renault „D Wide“ bekommt man einen soliden LKW für stadtnahe und regionale Verteilerverkehre an die Hand. Die Kabine, obwohl nicht mehr taufrisch, bietet genug Raum fürs Personal, die nötige Übersichtlichkeit und günstige Einstiegsverhältnisse. Nutzlast, Leistung und Komfort sind zeitgemäß, da muss sich der Franzose nicht hinter den Wettbewerbern verstecken. Die modernen Segnungen der Lkw-Technik, die man von den schweren Baureihen des Herstellers kennt, bleiben dem „D Wide“ freilich versagt. Und die wird es erst für die nächste Generation geben.
Technische Daten
Motor
Sechszylinder-Diesel DTI8 mit obenliegender Nockenwelle, 4 Ventile pro Zylinder, VTG-Turboaufladung und Ladeluftkühlung, Direkteinspritzung mit elektronisch geregeltem Common-Rail-System, max. 2.000 bar Einspritzdruck, gekühlte Abgasrückführung, abgasarm nach Euro 6 mit SCR-Kat und Partikelfilter.
Hubraum 7.700 cm³
Nennleistung235 kW/320 PS bei 2.100/min
Max. Drehmoment1.200 Nm bei 1.050–1.600/min
Motorbremse 170 kW bei 2.800/min
Kraftübertragung
Automat. Einscheiben-Trockenkupplung, automatisiertes 12-Gang-Schaltgetriebe Optidriver AT 2412F, Übersetzungen 14,94 bis 1,0, Achsübersetzung i = 3,08, Tempo 85 bei 1.400/min im 12. Gang.
Fahrwerk
VA: Gekröpfte Faustachse mit 2-Blatt-Parabelfederung, zul. Achslast 7.500 kg, Stoßdämpfern und Stabilisator; HA: Hypoid-Antriebsachse Typ P13170-D mit Differenzialsperre und Zweibalgfederung, zul. Achslast 11.500 kg, Stoßdämpfer, Stabilisator; NLA: lift- und lenkbar, Zweibalgluftfederung; zul. Achslast 7,5 t. Reifen: 315/70 R 22,5.
Lenkung
Hydrolenkung mit variabler Übersetzung, Lenkrad in Höhe und Neigung pneumatisch verstellbar.
Bremsanlage, Sicherheitssysteme:
Zweikreis-EBS-Bremsanlage mit automatisch lastabhängiger Bremskraftregelung, Zweizylinder-Luftkompressor, innenbelüftete Scheibenbremsen an allen Rädern, ABS plus Bremsassistent serienmäßig. Optibrake-Motorbremse mit Brakeblending, gestängelose Federspeicher-Feststellbremse auf die Antriebsachse wirkend. ESP, Spurüberwachung und Notbremsassistent als Standard.
Maße und Gewichte
Länge x Breite x Höhe: 11.170 x 2.550 x 3.250 mm
Radstand: 5.250 mm
Leergewicht lt. Hersteller: 10.760 kg
Zulässiges Gesamtgewicht: 26.000 kg
Volumen Kraftstofftank: 415 l
Adblue-Behälter: 32 l
Wolfgang Tschakert