Mit einer Doppelachse für den Antrieb bekommen Sattelzugmaschinen mehr Sattellast, mehr Traktion und mehr Kippstabilität. Beim MAN TGS 6×4-Kippsattel sind aber auch kleine Nachteile erkennbar.

Bauprofis wissen die Vorzüge von dreiachsigen Kippsattelzugmaschine zu schätzen. Vor allem Abbruch- und Tiefbauunternehmen wählen wegen der besseren Traktionseigenschaften häufig zu Kombinationen aus Dreiachs-Zugmaschine und Zweiachs-Kippauflieger. Derartige Sattelzüge bieten mehr Sattellast und verkraften ungleichmäßige Beladungen besser als 4×2-Kippsattelzüge.
Selbst Sattelzügen mit 4×4-Traktion sind sie dank der belastbaren Antriebsachsen häufig überlegen.
Vorteile bietet der Dreiachser mit zwei Triebachsen auch beim Kippvorgang. Das Gewicht der Doppelachse hinten und die größere Aufstandsfläche durch vier zusätzliche Antriebsräder sorgt für wesentlich mehr Kippstabilität, wenn der Hydraulikzylinder die Kippmulde nach oben stemmt, um sich von der Last zu befreiten.
Außerdem ist eine Dreiachs-Zugmaschine flexibler einsetzbar – zumindest dann, wenn die Power stimmt. Dann lässt sich alternativ zur Kippmulde auch ein Tieflader aufsatteln, um schwere Baumaschinen, ganze Anlagen oder auch Aggregate zu transportieren. Ein Dreiachser für 26 t zulässiges Gesamtgewicht kommt mit hohem Druck auf zwei Hinterachse besser und ohne Lastüberschreitung zurecht.

Licht und Schatten
Aber es gibt auch Schattenseiten. Eine Antriebsachse mehr bedeutet höhere Anschaffungskosten und mehr Gewicht, was die Nutzlast stark einschränkt. Unser MAN TGS 33.500 6×4 bringt fast 9,7 t Leergewicht auf die Waage. Eine auf Leicht getrimmte 4×2-Sattelzugmaschine mit Kipphydraulik ist da durchaus 2 t leichter. Ein Pluspunkt für den Klassiker.
Andererseits zählt der MAN TGS nicht unbedingt zu den Schwergewichten in der Branche. Dreiachs-Sattelzugmaschinen anderer Hersteller bringen es in ähnlicher Konfiguration bis auf 12 t Leergewicht.
Zum Nutzlastnachteil addieren sich die Kosten für insgesamt acht statt vier Antriebsräder. Ob das auch linear die Reifenkosten erhöht, bleibt Spekulation. Mehr Räder bedeuten bei vergleichbarer Sattellast auch weniger Druck pro Reifen. Das dürfte den Reifenabrieb verringern und die Pneus länger leben lassen, wie MAN-Produktexperte Ralf Melbardis in die Waagschale wirft.
Wie auch immer der Reifen-Vergleich ausgehen würde, die zusätzliche Antriebsachse kostet auf jeden Fall etwas mehr Treibstoff.

Nutzlastoptimiert
Leer, aber fahrfertig wiegt der zum Test angetretene 6×4-Sattelzug mit Meiller-Hinterkipper auf zwei Achsen weniger als 16 t. Daraus errechnen sich knapp 25 t Nutzlast. Die Typbezeichnung 33.500 weist darauf hin, dass die MAN-Zugmaschine für ein technisches Gesamtgewicht von 33 t geeignet ist und dank der 500 PS mehr kann, als nur Kies ziehen. Als Zugpferd für einen Tiefbett-Auflieger ist sie ebenfalls gut motorisiert. Für die Vorderachse gibt MAN zulässige 9,5 t Traglast an. Die gerade Faustachse wird von kräftigen Dreiblattfedern geführt. Damit fährt der TGS deutlich höher als eine Straßenzugmaschine vor.
Böschungswinkel und Bodenfreiheit unter der Kabine reichen für Schlechtwegstrecken mit Hindernissen aus. Die beiden luftgefederten Außenplanetenachsen hinten stecken jeweils 13 t Last weg. Damit ist der TGS-Dreiachser für schwere Lasten bestens gerüstet.
Wer Baustoffe oder Baumaschinen über längere Distanzen fährt, ist mit der langen TGS-Kabine gut bedient. Für die Grobheiten am Bau trägt sie vorn einen dreiteiligen, reparaturfreundlichen Stahlstoßfänger. Die wohl dimensionierte Stahlblechplatte schützt Kühler und Ölwanne.
Die mittelhohe Bauart fordert vier Stufen, um das relativ hoch gelagerte TGS-Fahrerhaus zu erklimmen. Besonders die erste Stufe hat es in sich und verlangt Akrobatik. Die Messung bis zum Kabinenboden ergibt 1,54 m.
Der Innenraum der L-Kabine verwöhnt den MAN-Fahrer mit durchaus viel Platzangebot und hochwertiger Ausstattung. Sie besitzt alles, was ein Kipperfahrer wünscht: Den vielfach verstellbaren Komfortsitz beheizt und belüftet, eine leistungsfähige Klimaanlage mit Luftzusatzheizung, ein bequemes Bett mit Lattenrost und 7 cm dicker Kaltschaummatratze für die Nacht, eine jetzt voll versenkbare 42-l-Kühlbox für Snacks und Getränke unter der Liege sowie reichlich Ablagemöglichkeiten für Kleinkram und Dokumente. Die helle Innenausstattung ist nicht jedermanns Sache. Für den Bau wünscht sich so mancher Herr im Haus eine dunklere, schmutzunempfindlichere Verkleidung.
Die Übersicht hinterm Steuer ist im Übrigen prima. Nur die großen Spiegel schränken das Sichtfeld etwas ein. Die Lenkung arbeitet feinfühlig und zielgenau, die Servounterstützung ist ausreichend. Das Lenkrad könnte etwas steiler stehen. Aber das sind Kleinigkeiten. Der Drehschalter fürs automatisierte Tipmatic-Getriebe ist inzwischen ins Armaturenbrett gewandert, sitzt dort aber weit unten. Die platzraubende Konsole rechts neben dem Fahrersitzt blieb dennoch erhalten. Sie fungiert jetzt allein als Aufnahme für den Hebel der Feststellbremse.
Konsequent wäre es gewesen, auch ihn zu den anderen Schaltern ins Cockpit zu verbannen. Vielleicht kann es die nächste MAN-Generation, die noch in diesem Jahr erwarten wird. Und vielleicht wird sie dann auch elektrisch betätigt.

Offroad-Qualitäten
Nach Start des 12,4 l großen MAN-Sechszylinders fällt sofort sein flüsterleiser Leerlauf auf. Für die Fahrt ohne Ladung im Gelände und alle Straßeneinsätze stellt der Fahrer den Tipmatic-Drehschalter auf „D“.
Über Stellung „Dx“ für Geländefahrten unter Last bekommt der TGS von MAN eine geänderte Schaltstrategie mit schnelleren Schaltzeiten und höheren Schaltdrehzahlen mit auf den Weg. Das Getriebe hält den eingelegten Gang dann länger, wodurch ein unnötiges Hin- und Herschalten in der Automatik verhindert wird.
Reicht das stattliche Drehmoment in schwierigem Terrain nicht aus, kommt der TGS selbstverständlich mit Längs- und Quersperre weiter. Sie werden per Kippschalter im Armaturenträger aktiviert. Ebenso die Wegrollsperre fürs Starten am Berg und der Freischaukelmodus. Letzterer hilft nach einem Festfahren auf losem oder rutschigem Untergrund. Durch abwechselndes Treten und Loslassen des Gaspedals befreit sich der Fahrer selbst aus heiklen Situationen.
Oft funktioniert das. Sonst muss fremde Hilfe her. Selbst helfen kann sich der Fahrer, wenn der 6×4-Kippsattel bei engen Radien zu stark über die Vorderräder schiebt. Dann aktiviert er einfach die Lenkbremse. Bis Tempo 30 bremst sie die kurveninneren Hinterräder des MAN ab. Das verkleinert den Radius der gefahrenen Kurve. Ein genialer Trick, den es nur bei MAN gibt.

Fernverkehrstauglich
Zurück auf der Straße hängt der relativ kompakte D26-Motor ziemlich willig am Gas, läuft kultiviert und zieht bei Bedarf kräftig durch. Dank 12,5 PS/t ist der beladene MAN selbst auf anspruchsvollen Strecken mit ordentlichen Steigungen recht zügig unterwegs. Die vollen 2.500 Nm Drehmoment fallen schon ab 930 und bis 1.350 Touren über die Antriebsräder her. Rund um die 1.000er-Marke im Drehzahlmesser läuft der Reihensechser besonders geschmeidig und ohne Vibrationen.
Auch das automatisierte Traxon-Getriebe überzeugt durchaus. Die ausgeklügelte Elektronik wählt den Anfahrgang unter Berücksichtigung von Steigung und Last sehr gekonnt. Da sitzt einfach jede Schaltung des Overdrive-Getriebes. Unliebsame Gangsprünge sind nicht auszumachen.
Die breite Spreizung der zwölf Gänge in Verbindung mit der kurze Achsübersetzung (i=4,00) passt sehr gut für den Bau. Langsames Rangieren im Gelände ist ebenso möglich wie es Autobahnfahrten mit Tempo 85 bei nur 1.300 Kurbelwellenumdrehungen in der Minute sind. Das lässt auf passable Kraftstoffverbräuche hoffen. Um Dieselkraftstoff zu sparen, trumpft der Test-TGS mit GPS-gestützten Tempomat samt Ecoroll-Funktion auf. Bei leichtem Gefälle schaltet sein Getriebe automatisch in Neutralstellung und nutzt die Rollenergie des Kipperzuges. Seinen Job macht der „Efficient Cruise“ genannte Tempomat recht ordentlich. Er nutzt die Freilauffunktion nicht hemmungslos und bleibt bergab eher auf Nummer sicher.
Basis bildet die Geschwindigkeitsspanne, die der Fahrer dem Ecoroll zuvor zugebilligt hat. In kniffligen Situationen aber passt der Mann am Lenkrad die Geschwindigkeit besser und schneller direkt mit dem Fahrpedal an.
Was beim Surfen in Neutralstellung auffällt: Der Rollwiderstand des 6×4-Gespanns schlägt stärker zu Buche, als man es von 4×2-Sattelzügen kennt. Mit ein Grund dafür sind die breiten Reifen mit grobem X-Multiway-Profil. Dafür arbeitet die Federung des TGS besser als von einer Dreiachs-Zugmaschine vermutet.
Der Fahrkomfort ist fernverkehrstauglich. Das gilt leer wie beladen. Die erwartete Rüttelpartie – vor allem mit leerem Kippauflieger – stellt sich nicht ein. Trotz der schweren Achsen federt der MAN noch manierlich. Was die Dreiblatt-Parabelfedern vorne durchlässt, fängt die aufwändige Fahrerhaus-Luftfederung ab.
Mit langem Radstand und zwei luftgefederten Achsen unterbleibt selbst das typische Nicken des Sattelzuges. Auch die Wankneigung in schnellen Kurven hält sich dank stabiler Doppelhinterachse angenehm in Grenzen. Außerdem läuft der Dreiachser spurstabiler als eine 4×2-Sattelzugmaschine.

Gut gebremst
Bergab zeichnet sich die Dauerbremse aus EVB-Motorbremse und Pritarder mit bis zu 500 kW Bremsleistung aus. Den im Kühlkreislauf integrierten Wasserpumpenretarder hat nur MAN in petto. Er lässt sich über den Lenkstockhebel in sechs Stufen regeln und beißt mächtig zu, wenn das Getriebe in die kleinen Gänge zurückschaltet.
An steilen Offroad-Talfahrten ist die Kombi-Dauerbremse stets stark genug, den Zug langsam und kontrolliert nach unten zu zirkeln. Das Plus an Sicherheit wissen Fahrer schnell zu schätzen.
Zusätzlich spielt die EBS-Bremsanlage hervorragend mit. Vorn verzögern den TGS Scheibenbremsen, hinten Trommelbremsen.

Sicher ist sicher
Beim Thema Sicherheit lässt sich der MAN kaum etwas ans Zeug flicken. ABS, ASR und ESP sind gesetzlich vorgeschrieben und serienmäßig an Bord. Der Abstandsregeltempomat ACC – jetzt schon ab 15 km/h aktivierbar – macht lange Autobahnfahrten sicherer.
Die Stop-and-Go-Funktion für Staufahrten gibt es allerdings vorerst nur für zweiachsige Sattelzugmaschinen. Dafür ist der Notbremsassistent EBA 2 an Bord. Er funktioniert mit Radar und Kamera und lässt sich nicht mehr abschalten. Erkennt die Notbremstechnik eine Gefahr, startet ein kaskadenartig aufgebautes Warnsystem aus optischen und akustischen Warnmeldungen. Bei Bedarf bremst sie automatisch bis zum Stillstand. Währenddessen leuchten die Bremslichter auf, die Warnblinker blinken automatisch mit erhöhter Frequenz. Ferner ist der Spurhalteassistent verbaut. Eine Spurwechselunterstützung, einen Aufmerksamkeits- oder gar förderfähigen Abbiegeassistenten sucht man hingegen vergeblich.
Mit der schon in den Startlöchern stehenden neuen Schwer-Lkw-Generation von MAN wird sich das sicher ändern.

Frank Hausmann