Der Trend ist eindeutig: Leistungsstarke Lastwagen sind auf dem Vormarsch. Mit dem R 520 V8 besetzt Scania eine attraktive Nische im Segment der kommenden Flotten-LKW ab 500 PS.
Lag der Neuzulassungsanteil von Sattelzugmaschinen mit mehr als 350 kW (mehr als 476 PS) noch vor fünf Jahren bei knapp 20 Prozent, so hat sich ihr Anteil inzwischen glatt verdoppelt. Nach den vorliegenden Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA), Flensburg, erreichte die Quote der „500er“ bereits zum Jahresende 2017 genau 38,3 Prozent. Ende 2014 waren es gerade mal 19,8 Prozent.
Mit Vorliegen der aktuellen Daten für das Gesamtjahr 2018 dürfte die 40-Prozent-Marke mit deutlichem Abstand überschritten sein.
Zeitenwende
Damit ist klar: Die Zeiten, da man von einem Flottenmodell für den schweren Straßengüterverkehr immer dann sprach, wenn die Motorleistung zwischen 400 und 450 PS lag, neigen sich dem Ende zu. Die neue Mitte heißt 500.
Das Angebot ist da, die Nachfrage auch. Wobei letztere, da sind sich Vertriebsexperten der LKW-Anbieter einig wie selten, zu einem erheblich Teil dem immer größer werdenden Thema Fahrermangel geschuldet ist. Credo: Der Fahrer will einen 500er, der Fahrer bekommt einen 500er.
Oder gar einen V8. Jedenfalls bei Scania. Die schwedische Marke aus Volkswagens Nutzfahrzeuggruppe Traton sieht sich in der einzigartigen Lage, neben einem anerkannt kräftigen und dabei zugleich beeindruckend sparsamen 500-PS-Modell mit Sechszylindermotor auch den Mythos „V8“ bedienen zu können.
„R 520“ oder „S 520“ heißt das Gerät, das Fahrerträume wahr werden lässt. Schon beim R ist eine große Kabine montiert; beim S muss man etwas höher hinauf klettern, denn hier ist der Kabinenboden komplett eben.
Unabhängig von der gewählten Kabine bleiben die Kosten akzeptabel, wie der Test eines R 520 gezeigt hat. Das die Gesamtaufwendungen bestimmende Verbrauchsergebnis von 30,8 l/100 km setzt ein entscheidendes Zeichen. Der versammelte Wettbewerberreigen, durch die Bank mit knapp 13 l großen Reihensechszylindermaschinen am Start, kann beim Dieselkonsum gerade noch mithalten. Noch deutlicher: Im Vergleich des neuen Scania 520-V8 zum gleichnamigen Vorgängermodell, das 2014 zum Test antrat, beträgt der Fortschrittsmix aus grundlegenden überarbeitetem 16,4-l-Motor und neuer Kabine 3,8 l/100 km oder elf Prozent.
Satter Sound
Zudem soll nicht verschwiegen werden, dass der schärfste Konkurrent des R 520 V8, Scanias R6-500er, eigentlich nichts besser kann als der 520 PS starke Basisachtzylinder. Und dann fehlt dem Vernunftmotor noch das: der V8-Sound.
Der hat durch einige der technische Modifikationen am Ansaug- und Abgassystem im neuen Modell nun wieder ein wenig an Präsenz zurückerobert, die ihm in der ersten Euro-6-Ausgabe abhandengekommen war.
Dafür darf beim Sechszylinder auf der Nutzlastseite ein Bonus einkalkuliert werden, und bei den festen Kosten aus Leasing und Service ebenso. Die Fahrleistungen hingegen sind schon im klinisch reinen Testbetrieb faktisch identisch, im wirklichen Transportalltag mit seinen verkehrlichen Unwägbarkeiten ohnehin.
Beim Kostenfaktor Adblue-Verbrauch schenken sich R6 und V8 ebenfalls falls nichts. Da wie dort ist mit rund 2,5 l/100 km zu rechnen. Das ist etwa das dreifache dessen, was früher, bei Scanias Maschinen mit Abgasrückführung, noch anzusetzen war. Heute reinigt Scania die Abgase bis hinauf zum 650-PS-V8 allein mit hochdosiertem Adblue von schädlichen Stickoxiden. Allein das Topmodell mit 730 PS braucht derzeit noch die doppelte Säuberungskraft aus Adblue plus AGR.
Bleibt noch der Teillastverbrauch. Nicht unwichtig für die kommende Brot- und Butterklasse der 500-PS-LKW. Schließlich ist die gewichtsmäßige Teilbeladung nicht die Ausnahme, sondern vielmehr der Regelfall im Güterfernverkehr. Nicht ohne Grund greifen die Verbrauchs- und CO2-Regularien der Europäischen Union mit ihrem Verbrauchsermittlungsverfahren „Vecto“ genau auf die 75-Prozent-Auslastung zurück.
Doch auch hier gibt sich der Scania R 520 V8 keine Blöße. Mit 27,1 l/100 km schleppt der 16,4-l-Bolide den zu dreiviertel ausgelasteten Test-Trailer über die Messstrecke. Fast um 2 l besser als das Vorgängermodell, aber, und das erstaunt besonders, um keinen Deut schlechter als der 500-PS-Kontrahent aus der aktuellen Modellfamilie.
Komfortable V8-Sphären
Vom Arbeitsplatz her gibt es zwischen der Jedermannwelt mit Sechszylindermotor und den – zumindest vom Image her – gehobenen V8-Sphären keinen wirklichen Unterschied. In jedem Fall weckt das Raumangebot in der Kabine Begehrlichkeit für Scanias aktuelles Lastwagenmodell. Zumal die Arbeit hinter dem Lenkrad Freude bereitet.
Alles ist ein wenig hübscher als früher arrangiert, wenngleich schwere ergonomische Ausfälle auch vor dem Modellwechsel 2016 nicht zu beklagen waren.
Bei der Fahrzeugbedienung gibt der R 520 keine Rätsel auf. Gut, das individuelle Einrichten der Anzeigeinstrumente in der Top-Ausführung der Instrumententafel erfordert einen Moment der Geduld, aber Tacho und Drehzahlmesser, Bremsluftdruck und Tankfüllstand sind generell präsent, das reicht für einen Quickstart.
Selber Schalten und dazu auch noch ein Kupplungspedal treten, das kennt man heute beinahe nur noch vom Hörensagen. Die Getriebeautomatik Opticruise steuert das Zahnradwechselspiel mit großer Hingabe, dank neuer Vorgelegewellenbremse flott – bisweilen schon übertrieben flott –, aber zumeist passend für alle Fahrsituationen.
Dass es auf Wunsch auch eine Automatikvariante mit Kupplungspedal (Clutch on Demand) gibt, sei erwähnt. Sinnvoll kann das in Einsätzen mit Haken-Abrollkippern sein, oder vielleicht für Fahrzeuge mit Wechselbrücken. Oder für Einsätze mit 60-t-plus, abseits befestigter Wege – aber das ist ein ganz anderes Thema.
Sicher unterwegs
Für die weit überwiegende Mehrzahl aller Einsatzfälle ist die Getriebeschaltautomatik in Zwei-Pedal-Technik heute das Maß der Dinge. Das gilt erst recht, seit es bei Scania CCAP gibt. Der vorausschauende, besser: vorauswissende Tempomat stellt so ziemlich alles in den Schatten, was sich ein Kraftfahrer in zig Berufsjahren an Erfahrung hat aneignen können. Und vor allem: Der Computer kennt die Strecke besser als ein Trucker seine vielzitierte Westentasche.
Dass er auch nachts richtig weit gucken kann und sich dabei durch witterungsbedingt schlechte Sicht nicht von seiner Vorausschau abbringen lässt, steht weiter auf der Habenseite. Außerdem kommt noch hinzu, dass die Maschinerie auch in der neunten Lenkzeitstunde hellwach und konzentriert agiert wie zu Schichtbeginn.
Natürlich muss das werte Fahrpersonal dem freundlichen Assistenten auch die Chance geben, sein Können auszuspielen. Will sagen: Wer toujours im Power-Modus mit Tempo 90 dahinkachelt, macht alles falsch. Da kann auch CCAP nicht mehr helfen; es ist dann schlicht ausgeschaltet. Auch Marschtempo 85 mit jeweils 5er Unter- und Überschwung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, bringt aber schon etwas.
Im Testbetrieb des KFZ-Anzeiger wird moderater gefahren. Tempo 80 mit ordentlich Unterschwung zum Kraftstoffsparen und angemessenem Überschwung für Durchschnittstempo. Alles im Vollautomatikbetrieb, also ohne jeden Einfluss des Fahrers auf das Ergebnis. Dazu noch eine Messung im Klassikstil mit 82 plus/minus 7 km/h mit fallweiser manueller Gangwahl.
Ergebnis
Im aktuellen Test des Scania R 520 V8 hat die CCAP-Fahrerassistenz sowohl mit voller als auch mit reduzierter Gewichtsauslastung jeweils den Verbrauchsbestwert herausgefahren. Ein wenig Tempo bleibt dabei auf der Strecke, wie die Tabellenwerte ausweisen. Für den Transportalltag von Bedeutung sind die minimalen Zeitverluste des Eco-maximierten Fahrstils ganz sicher nicht: Wir sprechen hier über höchstens fünfeinhalb Minuten – auf 700 km.
Allerdings: Bei so viel Licht gibt es auch einen kleinen Schatten. Zumindest empfindet der Testfahrer das so. Scanias neueste Errungenschaft innerhalb CCAP, die Funktion „Pulse and Glide“, kann einem gehörig auf die Nerven gehen. Auf flachen Strecken simuliert das System schwungvolles Fahren, wo es eigentlich nichts zu schwingen gibt. Das fühlt sich komisch an, und Hinterherfahrer dürften an dem stetigen Tempowechsel auf ebener Strecke ebenfalls wenig Freude haben.
Aber Entwarnung. Die Spritsparassistenz muss zunächst in einer Scania-Werkstatt freigeschaltet werden, bevor man sie praktisch ausprobieren kann. In den letzten Testwagen aus Södertälje war die Mimik natürlich scharfgeschaltet. Die Meinungen im Testteam gehen dazu auseinander. Den Tester nervt die Einrichtung durch stetige Geschwindigkeitswechsel; sie soll um diesen Preis aber ein halbes Prozentchen an Kraftstoff einsparen.
Im Rahmen von Messfahrten auf öffentlichen Straßen war der in Aussicht gestellte Verbrauchsbonus – erwartungsgemäß – bislang noch nie nachzuweisen. Aber auch nicht zu widerlegen. Deshalb unser Vorschlag: Wer’s mag, soll mit der Sägezahnfunktion leben. Wer der unsteten Fahrweise dauerhaft überdrüssig ist, lässt die Mimik in der Werkstatt wieder ausprogrammieren. Ganz oder – unsere Empfehlung – nur teilweise. Das ist in mehreren Stufen möglich. Damit lässt sich der kleine Schatten auf CCAP wahlweise ausknipsen.
Meinung:
Die aktuelle Lage spielt Scania in die Karten. Genauer gesagt: der Mangel an guten Kraftfahrern. Dass der Trucker an sich schon immer möglichst viel PS unter der Haube haben wollte, ist nicht wirklich neu. Dass er sie auch bekommt, schon eher. Jedenfalls lassen die amtlichen Neuzulassungs- und Bestandszahlen des Kraftfahrt- Bundesamtes kaum einen anderen Schluss zu. Für Scania ist diese Entwicklung, V8 sei Dank, noch ein wenig günstiger als für den Rest der Lastwagenherstellerwelt.
Fakt ist: je höher die verkaufte Nennleistung, desto höher ist der Deckungsbeitrag je Fahrzeug für dessen Hersteller. „Darf’s ein bisschen mehr sein“ war deshalb auch im letzten Jahrhundert immer schon eine Verkäufermaxime. Durchgedrungen ist die Vertriebsmannschaft damit nicht immer. Bis jetzt. Jetzt bestimmt der Fahrer nicht mehr nur über Kabine, Klimaanlage und Kühlschrank. Jetzt geht’s an Eingemachte. „Eine Fünf muss vorne stehen“ heißt es immer öfter.
Nun gut. Wenn schon 500 PS, wo vielleicht 450 vollkommen ausreichend wären, warum dann nicht gleich einen Achtzylinder? Glück für Scania. Noch gibt es die V8-Familie. Mit einem durchaus sparsamen Basismotor. Also kann man locken: Darf’s ein bisschen mehr sein? Gern doch.hjw
Hans-Jürgen Wildhage