Die einen benötigen ihn nie, die anderen immer. Die Rede ist vom Allradantrieb. Beim Straßengüterverkehr ist die Sache klar: Eine Antriebsachse muss reichen. Bei Baufahrzeugen ist die Sache schon weniger klar. Vor allem Sattelkipperzüge geraten an anspruchs-vollen Be- oder Entladestellen durchaus an ihre Traktionsgrenzen.

Standard-Fernverkehrsfahrzeuge fahren tunlichst nie in schweres Gelände, Standard-Sattelkipper meiden solches Terrain am besten auch. Doch Anfahren unter nicht idealen Bedingungen, das kommt bisweilen öfter vor, als einem lieb ist.
In Einsätzen, wo sich ein konventioneller Allradantrieb betriebswirtschaftlich verbietet – zu teuer, zu schwer –, kann eine klar straßenorientierte Anfahrhilfe – weniger kostspielig, wenig gewichtig – als pragmatischer Problemlöser helfen.
MAN hat mit seinem „Hydrodrive“ vor mehr als einem Jahrzehnt vorgelegt, Mercedes-Benz zog 2015 nach. HAD heißt die Lösung der Stuttgarter, „Hydraulic Auxiliary Drive“. Das System ist prädestiniert für Straßenfahrzeuge, die gelegentlich ins Gelände fahren oder die bei ihren Einsätzen zwischendurch immer wieder eine Strecke mit anspruchsvollem Terrain oder steile Rampen bewältigen müssen.
Angeboten wird die Anfahrhilfe vor allem für die Arocs-Modellfamilie, kann aber auch für bestimmte Actros-Versionen geordert werden.
Wichtig für den Offroad-Einsatz: Noch bei 800/min stehen unter Volllast 1.750 Nm oder 80 Prozent des Maximalwertes für kräftigen Durchzug bereit.

Feinfühliges Kraftpaket
Für unseren Fahrbericht stand uns eine Sattelzugmaschine aus dem Charterway-Mietpool der Mercedes-Benz-Niederlassung Hannover zur Verfügung. Unter der weinrot lackierten, halblangen und 2,3 m breiten Kabine des Arocs 1845 arbeitet die 330-kW-Version (449 PS) des Euro-6-Triebwerks Mercedes-Benz OM 471 LA mit 12,8 l Hubraum.
Die höchste Zugkraft der Langhubmaschine erreicht 2.200 Nm bei 1.100/min. Die aus dem Straßen-Actros bekannte und dort für Schnellfahreinsätze im Fernverkehr sinnvolle Drehmomentanhebung auf 2.400 Nm im zwölften Gang gibt es im Nahverkehrs-Arocs nicht. Viel wichtiger für dessen Einsätze auf schweren Landstraßen und im leichten Gelände: Noch bei 800/min stehen unter Volllast 1.750 Nm oder 80 Prozent des Maximalwertes für kräftigen Durchzug bereit.
Die Kraftübertragung erfolgt mit dem serienmäßigen Mercedes-Powershift-3-Getriebe mit zwölf Gängen; Handschalter gibt’s im Arocs nur noch auf ausdrücklichen Sonderwunsch – diesen Stressfaktor sind Nahverkehrskutscher also endlich los. Gut so. Die Schaltautomatik zeichnet sich unter anderem durch die im Vergleich zu den Vorgänger-Getrieben aus dem alten Actros MP3 um bis zu 50 Prozent verkürzte Schaltzeiten aus.
Mit seiner sensiblen Schaltsensorik sorgt Powershift für präzise, der jeweiligen Fahr- und Beladungssituation zumeist gut angepasste Übersetzungswahl.

Geländegängiger Straßenroller
Die Anfahrhilfe Hydraulic Auxiliary Drive versteht Mercedes-Benz als Option zwischen onroad und offroad. Sie wird bedarfsweise eingesetzt und unterscheidet sich technisch erheblich von einem klassischen mechanischen Allradantrieb mit Verteilergetriebe, Kardanwelle und einem Differenzial sowie Antriebswellen an einer permanent angetriebenen oder bedarfsweise zuschaltbaren Vorderachse.
Als Vorzüge des hydraulischen Antriebs nennt der Hersteller das vergleichsweise geringe Mehrgewicht, Verbrauchs- und Emissionsvorteile sowie große Vielseitigkeit bei der Fahrzeugkonfiguration. Die Bedienung des Hydraulic Auxiliary Drive ist für den Fahrer denkbar einfach: Ein Tastendruck im Cockpit genügt, schon wird der Zusatzantrieb aktiv. Dies kann noch während der Fahrt auf der Straße vor der Einfahrt in die Baustelle geschehen oder jederzeit im Gelände. Auf diese Weise meistert der Fahrer mit dem Arocs HAD auch unvorhergesehene Situationen.
Dabei bleibt die Handhabung des Antriebs jederzeit flexibel. So kann der Fahrer unabhängig von der Aktivierung des HAD Differenzialsperre einschalten. Auf diese Weise ist es möglich, situativ auch allein mit gesperrtem Hinterachsdifferenzial und ohne zusätzlichen Vorderradantrieb zu fahren. Wovon wir uns bei der Probefahrt im weichen Sand ausgiebig überzeugen konnten.
Das großzügige Areal der Firma GP-Papenburg, nördlich Hannover in der Wedemark gelegen, bietet hierfür mehr als ausreichend Gelegenheit.
Als Vorzüge von HAD nennt der Hersteller das vergleichsweise geringe Mehrgewicht, Verbrauchs- und Emissionsvorteile sowie große Vielseitigkeit.

Jenseits fester Pfade
Lenkt man den Arocs HAD abseits der in Papenburgs Werksgelände bestens ausgebauten Fahrwege dorthin, wo er eigentlich nicht hingehört, kann Daimlers Traktionstechnik beweisen, was sie drauf hat. Die Spuren im Sand vor uns verraten: Hier fahren normalerweise nur Knicklenker wie Dumper und Radlader – und Planierraupen mit Kette. Der Arocs gibt sich zunächst keine Blöße, zieht den ganz bewusst unbeladenen Carnehl-Kippsattel brav bergan.
Bis der Fahrwiderstand die Oberhand gewinnt. Dann hilft zunächst die mechanische 100-Prozent-Sperre an der Hinterachse für ein paar weitere Fahrmeter. Der Profi hätte die Sperre im realen Fahralltag natürlich viel früher, vor der Rampe, eingelegt. Wir nicht. Schließlich soll HAD helfen. Also leichtes Eingraben mit beiden Hinterrädern. Stillstand. Nach einem Druck aufs HAD-Knöpfchen kann es weitergehen. Gas geben genügt.
Dabei sollte das Fahrpedal durchaus etwas beherzter als sonst vielleicht üblich betätigt werden. Die Steuerungselektronik der Anfahrhilfe weiß seit dem Zuschalten von HAD zwar, dass es ernst wird. Im Getriebeschaltprogramm sind nun höhere Grenzdrehzahlen für die Übersetzungswechsel aktiviert, ein gegebenfalls installierter Power- oder Offroad-Modus muss nicht separat aktiviert werden. Aber der vom motorseitigen Nebenantrieb bereitgestellte Öldruck an den Radnabenmotoren und damit die wirksame Zugkraft an der Vorderachse wird auch über die Leistungsanforderung via Fahrpedal moduliert.

Bei Blau wird’s ernst
Über das Zentraldisplay in der Armaturentafel erhält der Fahrer den aktuellen Bericht zur Traktionslage. Leuchtet die entsprechende Anzeige in Weiß, ist das Hydraulic Auxiliary Drive aktiviert, es wird derzeit jedoch kein Antriebsmoment abgefordert. Leuchtet die Anzeige dagegen blau, ist HAD bei der Arbeit und unterstützt den Vortrieb. Weiterhin wird über eine LED im Schalter der Systemstatus sichtbar gemacht. Mit mittlerer Motordrehzahl wechseln wir von weiß nach blau. Der Arocs wühlt sich nun auf allen Vieren aus der misslichen Lage und zieht den Zug ein gutes Stück weiter den Berg hinauf. Aus einer realen Alltagslage beim Anfahren unter erschwerten Bedingungen hätte sich der HAD-Truck also sehr souverän selbst befreit.
Dass es bei unserer Probefahrt am Ende dann doch nicht bis zum Gipfel unseres Testpfades reicht, ist schlicht dem Steigungsgrad geschuldet: Irgendwann ist einfach Schluss für ein Straßenfahrzeug – zumal mit Kompromissbereifung.
Den Weg zurück nach unten beschreitet das Gespann ganz lässig. Denn auch hier hilft, neben der Hangabtriebskraft, die in den Rückwärtsgängen eins und zwei immer noch zugeschaltete Vorderachse. Die an den Abstieg anschließende, provokant eng gefahrene Kehrtwende schraubt den Fahrwiderstand schließlich noch einmal hoch – kein Problem dank HAD. Die Hinterachssperre hatten wir längst wieder herausgenommen, die Zusatzkraft der beiden Radnabenmotoren reichte dem 1845 vollkommen, um wieder die festen Fahrwege in der Papenburg-Sandgrube unter die Räder zu nehmen. Sodann wird die Hydro-Hilfe manuell abgeschaltet, Ordnung muss sein. Wenngleich: man kann’s auch lassen. Bis Tempo 25 würde HAD weiter Zugkraft nach vorn delegieren, darüber geht das System in Standby. Bei 60 km/h schließlich beendet die Steuerelektronik auch diese Phase. Für einen erneuten Einsatz müsste der Anfahrhelfer nun ein weiteres Mal per Knopfdruck in Bereitschaft versetzt werden.

Gelungenes Gesamtkonzept
Zu den Vorzügen des Hydraulic Auxiliary Drive von Mercedes-Benz gehört die durchdachte Zusammenarbeit mit dem vollautomatisierten Powershift-Getriebe. Das schont speziell im Offroad-Einsatz die Antriebsaggregate vom Motor über die Kupplung sowie das Getriebe bis zu den Antriebsachsen. Außerdem findet der Fahrer sein gewohntes Bedienkonzept vor und kann sich voll auf die Aufgabe konzentrieren, seinen LKW zielgenau durch unwegsames Gelände zu steuern.

Al-Ko
Neuer Diebstahlschutz
Die Al-Ko Fahrzeugtechnik erweitert ihr Sicherheitsprodukt-Portfolio. Speziell für die Kugelkupplungen AK 161 und AK 270 wurde jetzt Al-Ko Safety entwickelt – der erste am Markt verfügbare Diebstahlschutz für diese beiden Kupplungen, der die hohen länderspezifischen Versicherungsanforderungen in England, Schweden und den Niederlanden erfüllt. Al-Ko Safety wird ab Sommer verfügbar sein und den Anhänger sowohl im Stand- als auch im Fahrbetrieb gegen schnellen Zugriff sichern.
Gegen den Diebstahl eines Anhängers gibt es keinen hundertprozentigen Schutz. Doch es gibt gute Sicherungsmöglichkeiten, die abschreckend auf mögliche Fahrzeugdiebe wirken. Denn Schlösser, die nur mit hohem Zeitaufwand und speziellem Werkzeug aufzubrechen sind, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass Diebe von ihrem Vorhaben ablassen. Darauf setzt auch der Diebstahlschutz Al-Ko Safety, der mit einem Gewicht von 2,5 Kilo auch die höchsten internationalen Sicherheitsansprüche erfüllt. Den neuen Diebstahlschutz bietet Al-Ko je nach Prämien-Rabattbedingungen der Versicherungen in den europäischen Ländern, in vier verschiedenen Varianten an:
• mit SCM-Prüfung Niederlande (mit Aufbohr- und Ziehschutz)
• mit Sold-Secure-Prüfung Großbritannien (mit Aufbohr- und Ziehschutz)
• mit SBSC-Prüfung Schweden (Spezialschloss mit Schleißplatten)
• ohne Prüfung für die restliche Europäische Union (Standardschloss)
Al-Ko Safety schützt zum einen das Gespann im Fahrbetrieb, zum anderen lässt sich der Trailer aber auch im Standbetrieb gegen schnellen Zugriff sichern. Dazu wird der im Lieferumfang enthaltene Safety-Ball eingesetzt. Die Sicherung aus hartem Kunststoff kommt im abgekuppelten Zustand in die Kugelkupplung und verhindert dort die Aufnahme eines Kugelkopfs – und damit ein unbefugtes Ankuppeln.

Die Technik des HAD
Die wesentlichen Komponenten des Hydraulic Auxiliary Drive bestehen aus Hochdruckpumpe, Vorderachse mit Radnabenmotoren, einem Seitenmodul und einem Ventilblock. Die Hochdruckpumpe als Herzstück des HAD ist zentral am Motor angeordnet und wird direkt über dessen Rädertrieb angetrieben. Die Pumpe leistet bis zu 112 kW und liefert einen Volumenstrom von bis zu 350 l pro Minute mit einem maximalen Pumpendruck von 450 bar.
Bei der Vorderachse des Arocs HAD handelt es sich um das gewohnte, stahlgefederte, in zwei Kröpfungen erhältliche Aggregat mit Scheibenbremsen. Äußerlich ist der HAD an den im Vergleich zum konventionellen Antrieb geänderten Radköpfen zu erkennen.
Die Hydraulik-Radnabenmotoren setzen hydraulischen Druck in mechanische Arbeit um. Es handelt sich um Radial-Mehrkolbenmotoren mit einem zentral angeordneten Triebwerk und jeweils zehn kreisförmig angeordneten Zylindern. Deren Kolben mit Laufrollen an der Spitze werden wechselweise durch hydraulischen Druck nach außen gegen einen Nockenring gepresst. Durch die Gegenkraft entsteht ein Drehmoment, die Vorderräder werden angetrieben. Die Leistung beläuft sich auf jeweils 40 kW und das maximale Drehmoment auf 6.250 Nm je Rad. Die Radnabenmotoren werden durch den Achsbolzen und den Achszapfen direkt mit Hydrauliköl versorgt. Ein Drehverteiler im Achsschenkel schützt die Hydraulik-Hochdruckschläuche vor Verdrehen beim Lenken. Das System muss ausschließlich die Federbewegungen und keine Lenkbewegungen ausgleichen – ein großes Plus für die Lebensdauer.
Eine wesentliche Rolle spielt der Ventilsteuerblock. Er ist ebenfalls im Seitenmodul unterhalb des Rahmens integriert und enthält alle zur Steuerung des Hydraulikantriebs notwendigen Ventile. Hier wird außerdem eine konstante Menge Öl vom Hochdruckkreis in den Niederdruckkreis zur Kühlung weitergeleitet.
In den Ventilsteuerblock integriert sind die Drucksensoren der unterschiedlichen Kreise sowie ein Temperatursensor. Die Konstruktion aus Stahlguss ist gewichtsoptimiert. Dies spart im Vergleich zu gefrästen Ventilblöcken etwa 35 kg. Das „Gehirn“ des Hydraulic Auxiliary Drive ist das Steuergerät mit der Transmission Control Unit (TCM). Sie steuert Pumpe, Ventilsteuerblock und den Lüfter, also den kompletten Antrieb. Abhängig von der Fahrsituation lässt die TCM nur so viel Drehmoment an der Vorderachse wirken, wie für die Traktion tatsächlich notwendig ist. Grundlage dieser Steuerung sind die Sensoren des Fahrzeugs, sie erkennen unter anderem Radschlupf, das Fahrzeuggewicht und den Neigungswinkel des Trucks.
Zu den weiteren Pluspunkten des Arocs HAD zählt seine Wendigkeit. Im Unterschied zu einem mechanischen Allradantrieb schränkt HAD den Lenkwinkel nicht ein, er entspricht einem LKW mit Hinterradantrieb. Auch sind die Lenkkräfte identisch und es können wegen des entkoppelten Vorderradantriebs keine Verspannungen im Antriebsstrang auftreten.
Bei Bedarf kann der Fahrer bei Mercedes-Benz die Vorderräder außerdem mit Schneeketten ausrüsten.
Beim Gewicht spart HAD. Der Zuschlag beläuft sich auf 400 kg. Für den zuschaltbaren Allradantrieb eines zweiachsigen Arocs werden 825 kg fällig, für einen permanenten Allradantrieb fast eine Tonne – Verteilergetriebe, Differenzial, Kardanwelle, der stärkere Rahmen und weitere Features eines konventionellen Allradantriebs sind keine Leichtgewichte.
Auch beim Treibstoffkonsum kann HAD punkten. Eins bis zwei Prozent Mehrverbrauch gegenüber einer klassischen 4×2-Zugmaschine fallen an. Zum Vergleich: Die konventionelle 4×4-Maschine schluckt acht bis zehn Prozent mehr als der reine Straßenroller.

Hans-Jürgen Wildhage