Kompakter Motor, überschaubare Batterie, verblüffende Gewichte – der neue Master ZE elektrisiert und fährt auf einem eigenen Weg in die elektrische Zukunft.
Unschuldig weiß und ungewohnt friedlich schleicht der Renault Master ZE durch die Stadt. Bei niedrigen Geschwindigkeiten bis Tempo 30 summt er vergnügt mit leisen asphärischen Geräuschen, warnt damit Fußgänger vor dem Flüster-Transporter.
An Autos auf Samtpfoten in der Stadt muss man sich angesichts des Umgebungslärms noch gewöhnen, auch an deren Sirenengesänge. Und so ein Transporter krabbelt schließlich vormittags für Belieferungen durch Fußgängerzonen und schleppt Päckchen in Wohngebiete, da muss er sich bei aller Leisetreterei Gehör verschaffen.
Im Wettrennen um die Elektromobilität hat Renault in der Klasse der großen Transporter knapp die Nase vorn: Der VW E-Crafter läuft im Moment zaghaft im Kundenversuch, der Mercedes E-Sprinter ist erst für das kommende Jahr annonciert, der E-Vito ein anderes Format. Bleibt in dieser Klasse der Elektro-Daily, der auf den Straßen zwar ebenfalls nicht zu hören, aber auch kaum zu sehen ist.
E-Mobilität ist ein Schneckenrennen und der Anlauf schwierig, denn einerseits muss die Fertigung aufgebaut werden, andererseits weiß keiner so recht, ob die Käufer zugreifen werden. Deshalb nutzt Renault einen Kniff: Vor einem Jahr hat sich der Konzern einen Umbaubetrieb namens Power Vehicle Innovation (PVI) in der Nähe von Paris einverleibt. Dorthin liefert Renault einen antriebslosen Master, PVI übernimmt die Montage der Antriebstechnik vom Motor bis zur Batterie unter dem Fahrerhaus.
In Frankreich bereits frei verkäuflich, liefert Renault den Master ZE in Deutschland zunächst nur in kleiner Stückzahl an ausgesuchte Großkunden.
Vorne steht die Sechs …
Der E-Transporter ist kein billiger Spaß: Rund 60.000 Euro netto will Renault für den Master ZE haben, für dieses Geld gibt es problemlos zwei Master mit Dieselmotor und gleich drei Kangoo ZE.
Der Master-Stromer schleppt ein Handicap mit sich: Im Unterschied zum Kangoo ZE verzichtet Renault auf das Mietmodell für die Batterie parallel zum Kauf des Transporters, es gibt nur das Gesamtpaket. Das treibt den Anschaffungspreis und verlagert das Batterie-Risiko auf den Besitzer. Renault prognostiziert ihre Lebensdauer von sechs Jahren – das kann teuer werden.
Technisch dagegen lehnt sich der Master ZE an den kleinen Bruder an. Die Lithium-Ionen-Batterie mit 33 kWh Kapazität übernimmt er vom Kangoo. Strom wird rechterhand unten in der B-Säule eingeflößt, hinter der Tankklappe links steckt ein Blinddeckel – Fake News. Das trifft wohl auch auf die angegebene Reichweite von 200 Kilometern laut NEFZ-Fahrzyklus zu. Fairerweise spricht Renault von 80 bis 120 Kilometern im Zustelldienst.
Auch der Motor aus eigener Fertigung arbeitet bereits im Kangoo, seine Papierform wirkt mit 57 kW und 225 Nm schmalbrüstig. Das Maschinchen duckt sich tief in den nun halbleeren Motorraum. Die Wettbewerber bieten bei Motor und Batterie teils deutlich mehr. Renault nennt als Ursache Kundenwünsche – oder hat es sich mit der Übernahme einfach gemacht.
Von Leistungsmangel keine Spur
Ist’s Absicht oder aus der Not geboren? Ergebnis ist ein jedenfalls ein überraschendes Downsizing-Konzept. Werden andere Stromer aufgelastet, dreht Renault den Spieß um: Von Hause aus ein klassischer 3,5-Tonner, fährt der Master ZE mit nur 3,1 t Gesamtgewicht vor.
Klingt eigenwillig, kann aber funktionieren: Kompakte Batterie, überschaubarer Motor, dazu der von Hause aus leichte Master in Frontantriebsausführung, das ergibt laut Renault ein erstaunlich niedriges Leergewicht von nur knapp über 2 t für den Kastenwagen. Somit stimmt auch die Nutzlast von rund einer Tonne. Überdies legt Renault mit diversen Kastenwagen-Ausführungen sowie dem in Frankreich beliebten Plattform-Fahrgestell gleich eine ganze Flotte auf Kiel.
So weit die Theorie. Auch in der Praxis wirkt der Master ZE downsizig, tritt unspektakulär auf. Ein blauer Aufkleber am Heck, winzige Typenschilder links und rechts, das war’s, auf der Straße wird er nicht nur überhört, auch schnell übersehen.
Drinnen im Fahrerhaus halten sich die Unterschiede ebenfalls in Grenzen. Die Armaturen sind in Blau gehalten, links wird statt des Tankinhalts der Strompegel angezeigt, rechts informiert ein kleines Powermeter über die abgeforderte Leistung und eine eventuelle Rekuperation.
Anstelle des Schalthebels ragt ein Wählhebel mit den drei Stufen D – N – R aus der etwas klobigen Konsole. Eine Parkstellung gibt es nicht, also immer gut die Handbremse anziehen.
Zur Hälfte ausgeladen tritt der Elektriker in der Ebene spontan und durchaus kräftig an, schnurrt lebendig durch die City, von Leistungsmangel keine Spur. Auch auf einfachen Überlandstrecken schwimmt er gelassen im Verkehr mit. Bei etwa 100 km/h ist Schluss, für einen Transporter im Nahverkehr kein Handicap.
Die Sache ändert sich auf anspruchsvolleren Etappen: An Steilstücken gerät der Renault schnell aus der Puste, bei Beschleunigungsmanövern in Steigungen legt er kaum zu, da fehlt der Punch des Turbodiesels. Oder erscheint dies nur so, weil er leise ist?
Vorzüglich: die Lenkung
Das Drumherum zeigt, typisch für den Master, ausgeprägte Höhen und Tiefen. Düsternis umgibt den Fahrer auf dem konturlosen Sitz, das Fahrwerk ist bockig. Das darf sich im kommenden Jahr zum Facelift gerne ändern.
Die elektrische Lenkung dagegen arbeitet vorzüglich, Ablagen gibt es reichlich. Wie beim Kangoo ZE verlangt die deutliche Bremswirkung schon bei Gas weg (oder Strom weg?) nach einer gewissen Gewöhnung.
Gestartet mit einer Reichweiten-Vorhersage von 123 Kilometern, zeigt der Master ZE nach gut zwei Stunden auf durchaus anspruchsvollem Geläuf bei einem Durchschnittsverbrauch von 24,4 kWh noch eine Restreichweite von 60 Kilometern.
Bei frühlingshaften Außentemperaturen ohne Einsatz von Heizung oder Klimaanlage. Also alles ganz friedlich und in unschuldigem Weiß unter dem blankgewienerten sauberblauen Himmel.
Renault unter Strom
Sprache ist mitunter schwierig, aber auch sympathisch: Courant ist der französische Begriff für Strom. Das gleiche Wort als Adjektiv bedeutet so viel wie alltäglich. Für Renault ist courant courant, Strom also längst alltäglich.
Bereits vor acht Jahren präsentierte der Konzern den elektrisch angetriebenen Lieferwagen Kangoo ZE, das Kürzel steht für Zero Emission, Nullemission. Parallel dazu gingen bei VW der Caddy und bei Mercedes der Vito elektrisiert an den Start.
Während diese Beiden bald darauf wieder verschwanden, zeigte Renault Durchhaltevermögen, unterstützt von öffentlichen Förderungen. Zwei Jahre nach dem Kangoo schoben die Franzosen den Floh namens Twizy nach, bald darauf auch mit Rucksack als Twizy Cargo.
Mit einem größeren Modell hat sich Renault mehr Zeit gelassen: Bereits vor einem Jahr präsentierte das Unternehmen den Master ZE erstmals, jetzt wird er vom Kabel gelassen.
Randolf Unruh