Vergleich: Mercedes Sprinter und VW Crafter. Sie sind neu und sie sind richtig gut – das wird ein Duell der Giganten in der Klasse der 3,5-Tonner.
Neuer Mercedes Sprinter gegen neuen VW Crafter: So heißt das Duell des Jahres und der nahen Zukunft bei den großen Transportern. Mehr als 20 Jahre hatten die beiden Platzhirsche zusammengearbeitet. Von der ersten Generation des Sprinter leitete VW den LT II ab und baute ihn in Hannover – der gewünschte Erfolg war’s nicht. Bei der nächsten gemeinsamen Generation ließ VW den nun Crafter getauften Transporter gleich bei Mercedes herstellen. Womit VW zwar zum größten Transporterkunden von Mercedes aufstieg, jedoch zwangsläufig in der zweiten Reihe steckenblieb, denn die meisten Käufer griffen lieber gleich zum Original. Jetzt will VW mit einem eigenen Transporter aus einem eigenen Werk das Geld lieber selbst verdienen. Die Ausgangslage: Mercedes baut rund 200.000 Sprinter im Jahr, VW kann – den Ableger MAN TGE eingeschlossen – bis zu 100.000 Crafter produzieren. Und beide sind neu – eine Wonne für Käufer, sie können sich die Hände reiben.
Zu spüren ist’s an vielen Details: VW ist nach gewissen Anlaufproblemen inzwischen voll lieferfähig für seine Antriebsvarianten, auch mit dem E-Crafter geht’s bald los. Mercedes wiederum holt zurzeit tief Luft, in den nächsten Wochen startet der Sprinter durch. Doch bis alle Varianten in Fertigung sind, wird’s 2019 werden, den E-Sprinter eingeschlossen. Diesen Vorsprung gegen den bisher übermächtigen Gegner spielt VW aus: Während Mercedes mit einem günstigen Einstiegspreis lockt, hält VW zurzeit in großflächigen Anzeigen mit niedrigen Leasingtarifen dagegen.
Mit Frontantrieb
Im Mittelpunkt steht eine neue Antriebskonfiguration: Sprinter wie Crafter sind nun erstmals auch mit Frontantrieb zu haben, das ist billiger, leichter und bei den 3,5-Tonnern daher anderswo längst üblich. VW ist konzernweit Spezialist für diese Technik und kann auf Komponenten aus dem Regal zurückgreifen. Mercedes tastet sich eher heran – siehe das Frontantriebsmodul für den Einstiegs-Vito vom Renault Trafic. Dafür musste Mercedes im Unterschied zu VW nicht den kompletten Transporter neu entwickeln – viele Rohbaumaße einschließlich des Laderaums sind unverändert geblieben. Unter diesen vielen Aspekten ist das Duell der beiden Neuen mit angetriebener Vorderachse umso reizvoller.
Und das schon optisch, denn das Design ist jeweils markentypisch. Da wäre der niedersächsisch kantige VW mit klaren und stimmigen Linien, so eine Art Riesen-Golf. Und der eher weich geformte Mercedes, angelehnt an irgendeine aktuelle XYZ-Klasse. Beide übertreffen jetzt in der Breite knapp die Zwei-Meter-Marke. Der Crafter, weil ihm VW eine aerodynamisch günstige bauchige Form gegeben hat. Der Sprinter, weil das Antriebspaket aus Motor und Getriebe etwas breiter baut. Die Mercedes-Entwickler haben ebenfalls auf Feinheiten geachtet, denn hier verbessern schmalere Außenspiegel die Aerodynamik und verschlanken den Transporter gleichzeitig im Begegnungsverkehr. Erhalten blieb die breite Trittstufe unterhalb des Grills zum Scheibenputzen und Eiskratzen. Beim Crafter müssen dazu Einsätze oberhalb der Nebelscheinwerfer herausgenommen werden – macht das jemand?
Ein Kampf um Millimeter
Innen geht es markentypisch weiter. weiter: So etwas wie das „Zollstock-Fach“, die offene Ablage vor dem Beifahrer, kann wirklich nur VW einfallen. Das gesamte Crafter-Cockpit erinnert an eine bekannte Schokoladenwerbung: quadratisch, praktisch, gut. Und zwar richtig gut: viel Platz, prächtige Sitze, prima Instrumente, simple Bedienung, Lenkrad vom Golf – da ist es wieder, das VW-Urmeter. Mercedes dagegen schätzt gegen Bezahlung die Show, gegen gutes Geld gibt es ebenso gute Displays, da macht den Schwaben keiner etwas vor. Auch der Sprinter ist geräumig und hat nun Sitze, die von VW sein könnten, so hüllen sie den Fahrer ein. Hier sind auch die Weitwinkelgläser der Außenspiegel verstellbar, wandert der Wählhebel bei einem Automatikgetriebe nach aktueller Art des Hauses platzsparend ans Lenkrad, vorher war’s ein Graus. Und individuell ist der Sprinter, von extrem schlicht bis extrem edel, mit einer einzigartigen Individualität bei den Ablagen und der Ausstattung. Your personal Sprinter? Aber klar. Dank MBUX lässt der Transporter sogar mit sich reden. Der Start erfolgt schlüssellos auf Knopfdruck, die Parkbremse ist auf Wunsch elektrisch. Und das Lenkrad? Von schlicht bis übervoll, scrollen, wischen, drücken. So gut und im besten Sinne einfach der VW ist, moderner ist der Sprinter. Wenn man’s zahlt. Hinter der Trennwand nehmen sich die beiden Kontrahenten nicht viel. Das gilt für die großen Türen, da gibt es ein Millimeterspiel. Ebenso wie bei der Ladekante: Glaube keiner, dass deren Höhenangabe von 569 mm beim Sprinter Zufall ist, nachdem der Crafter 570 mm vorgelegt hatte. Vorteil VW: Seitlich hilft dem Fahrer eine Trittstufe, drinnen gibt’s serienmäßig LED-Leuchten. Vorteil Mercedes: Die Aufsteller hinten sind verschwunden, gegen Aufpreis gibt’s ganze LED-Leuchtketten. Auch drinnen ist’s ein Kampf um Millimeter. Der VW ist breiter, aber nur in der Mitte wegen seines fülligen Aerodynamik-Bauchansatzes. Er ist höher, aber nur wegen des Aerodynamik-Dachbuckels. Und er ist länger, weil die Trennwand unten für Langgut etwas ausgebuchtet ist. Macht in den Daten 0,3 Kubikmeter mehr, in der Praxis aber kaum einen Unterschied. Das ändert sich, falls der Laderaum zu knapp sein sollte, denn VW traut dem Crafter mehr Anhängelast und ein höheres Zuggesamtgewicht zu als Mercedes seinem Sprinter. Stichwort Gewicht: Laut Daten wiegt der Crafter ein paar Kilo weniger. Der Mercedes robbt sich heran, wählt der Käufer die leichten Kunststoff-Blattfedern an er Hinterachse.
Es gibt auch deutliche Unterschiede
Überhaupt, das Fahren mit den Transportern. Der VW wirkt leiser, das muss bei Gelegenheit noch nachgemessen werden. Aber es ist logisch, denn unter der Haube des Sprinter arbeitet ein knurriger Geselle. An Kraft fehlt es beiden Vierzylindern nicht, mit mittlerer Motorisierung von rund 103 kW (140 PS) und ordentlich Drehmoment sind sie gut unterwegs. Haben Mumm, rennen an die 160 Sachen. Und beide Motoren sind für den Einsatz in den aktuellen Transportern auf Vordermann gebracht worden. Die Verbrauchswerte liegen laut Normangaben Kopf an Kopf, der VW schneidet etwas niedriger ab, übertriebene Wunderwerte gibt es inzwischen hier wie dort nicht mehr. Der Dieseltank ist bei VW serienmäßig größer, aber der Mercedes schluckt mehr Adblue. Der Zuschlagstoff ist hier weiterhin unter der Haube einzufüllen, bei VW hinter der Tankklappe.
Komfortabel sind die Gegner ebenfalls, da kann ihnen in dieser Klasse keiner das Wasser reichen, in der mancher 3,5-Tonner knüppelhart auftritt. Auch rollen beide vorne mit McPherson-Federbeinen, die bekannten Dämpferbeine mit Querblattfeder aus GfK trägt nur der Sprinter mit Hinterradantrieb. Und beide bieten trotz dieser Radaufhängung einen geräumigen Fußraum, das bekommt nicht jeder hin.
Trotzdem gibt es deutliche Unterschiede, schon bedingt durch die unterschiedlichen Radstände. Mercedes wählt einen enormen Achsabstand, das hält die Fuhre bei hecklastiger Beladung stabil. Der VW dagegen neigt dann zum Schwänzeln und der Geradeauslauf ist nicht perfekt. Beim Rangieren dreht sich die Lage, dann wendet der VW flink, während der Mercedes seinen Fahrer wegen des großen Wendekreises zur mehr Anläufen zwingt. Ist die Lenkung des Sprinter deshalb bei geringen Geschwindigkeiten so ultraleicht ausgelegt? Was beim Rangieren hilft, fehlt beim Fahren mit niedrigem Tempo an Gefühl, das kann die straffer ausgelegte Lenkung des Crafter besser. Nachteil des riesenlangen Sprinter-Radstands: Das optionale Reserverad passt nur in den Laderaum, bei VW ist unter dem Boden genug Platz.
Für Notfälle sind hier wie dort serienmäßig und auf Wunsch allerhand Heinzelmännchen an Bord. Seitenwindassistenten, Spurwechselwarner, aktive Notbrems-Assistenten, 360-Grad-Kameras, auch halten beide einen sicheren Abstand zum Vordermann, gewöhnliche Transporterfahrer kriegen das eher selten hin. Klasse sind auch Ausparkassistenten. Wer jemals rückwärts mit einem Kastenwagen aus einer Einfahrt oder Parkbucht – Sie wissen schon. Der VW kann sogar selbständig einparken, wenn auch längst nicht immer perfekt. Und er hilft beim Rückwärtsrangieren mit Anhänger, zirkelt ihn dabei sauber ums Eck. Unterschiedlich agieren die aktiven Spurhalte-Assistenten: Der Crafter lenkt aktiv mit, der Sprinter zupft an der Bremse. Beides hält Transporter auf Kurs, beides kann je nach Fahrgewohnheiten und Strecke auch irritieren. Macht auf beiden Seiten gut gefüllte Sicherheitspakete, die ihresgleichen suchen. Was ohnehin für Mercedes Sprinter und VW Crafter gilt, sie hieven 3,5-Tonner auf ein neues Niveau. Ja, im Zweifel auch beim Anschaffungspreis. Wohl dem, der zwischen diesen Rivalen wählen kann. Randolf Unruh
Randolf Unruh