Doppeltest Volvo FL 4×4 und FMX 4×4: Zwei Volvo-Allrader für 16 und 18 t aus unterschiedlichen Baureihen müssen zeigen, welches Konzept für das mittelschwere Bausegment die Nase vorn hat. Licht und Schatten gibt es auf beiden Seiten.
Mittelschwere Kipper haben einen schweren Stand. Sie sind weder bei Fahrern noch Unternehmern beliebt. Nutzlast und Volumen der kleinen Bauhelden sind begrenzt. Dennoch fehlen die Zweiachser in keinem gutsortierten Bau- und Kommunalbetrieb. Schließlich sind sie schnell und wendig und kommen selbst auf engsten Baustellen mit einer Ladung Kies, ein paar Paletten Ziegelsteine oder einer Partie Stahlarmierung überall hin, sofern sie wie die beiden Testkandidaten über Allradtechnik verfügen.
Auf Straße und im Gelände treten der Volvo FL 280 und der Volvo FMX 460 jeweils in 4×4-Version mehr mit- als gegeneinander an. Ihr Kommunal-Orange weist auf das Zielgebiet hin. Der FL ist für den Winterdienst gerüstet und kann in der Räumsaison fix mit Schneepflug und Streuer bestückt werden. Sein Kompagnon trägt dagegen zusätzlich zum Dreiseitenkipper einen Ladekran, was ihn äußerst autark agieren lässt, aber auch die Nutzlast stark einschränkt. Als 18-Tonner zugelassen, darf dieser FMX nur noch gut fünf Tonnen schultern. Der fast 4,5 t leichtere FL hat’s da besser und packt fast acht Tonnen drauf, bevor sein zulässiges Gesamtgewicht von 16 t erreicht wird. Schwerer darf bei Volvo kein FL-Allrader sein.
Rechtes Maß
Von den Gesamtabmessungen schenken sich beide nichts. Knapp 7 m lang und in der Breite nahezu gleich differieren sie nur in der Höhe um 14 cm. Die ragt der FMX stärker empor. Beim Radstand sieht die Sache anders aus. Der Palfinger-Ladekran samt Abstützung fordert seinen Tribut in Form von mehr Bauraum. Soll zusätzlich eine passable Kippbrücke vorhanden sein, braucht es die 4 m zwischen den Achsen. Beim FL beträgt der Radstand einen halben Meter weniger. Das schafft aber einen nur geringfügig kleineren Wendekreis gegenüber dem FMX. Beide Schweden machen als Solofahrzeug in der Enge von Großstädten eine gute Figur. Die Handlichkeit im Zusammenspiel mit leichtgängiger Lenkung lassen die gut 8,2 und 12,6 t Leergewicht glatt vergessen.
Innere Werte
Stärker werden die Differenzen der Kontrahenten sichtbar, wenn der Blick auf Kabine und Antrieb fällt. Die unterschiedlichen LKW-Baureihen bringen es mit sich. Das markante Komfortfahrerhaus des Volvo FL stammt aus dem französischen Renault-Werk Blainville. Hinterm Steuer findet sich der Fahrer an einem Arbeitsplatz wieder, der den Stil- und Materialmix aus französischem Erbgut der D-Reihe und Volvo-typischen Designelementen kombiniert. Das verlängerte FL-Fahrerhaus bietet 1,60 m Innenhöhe und ausreichend Platz – selbst für zwei. Mit einem Dritten auf der Beifahrer-Doppelsitzbank wird’s allerdings eng an Bord. Dafür gibt es viel Stauraum für Helm, Wattejacke und Werkzeug hinter den Sitzen. Der ist auch nötig, denn Außenstaufächer wie beim FMX gibt es keine. Für Galabauer dürfte die Doppelkabine mit maximal sieben Mann Besatzung interessant sein, die Volvo werkseitig im FL- wie auch im FMX- Programm vorhält. Knapper als im FL ist der Platz im kurzen FMX-Tagesfahrerhaus bemessen. Hinter den Sitzen ist nur noch ein kleiner Spalt. Dahinter passt so gut wie nichts mehr. Damit die Kabine tief auf dem Rahmen sitzt und den Einstieg komfortabel macht, ragt der Motortunnel weit ins Innere. Das verhindert den Durchstieg. Auch im FL ist er kaum möglich. Hier sind Schaltkonsole, Feststellbremshebel und die Bucher-Steuerung für den Winterdienst im Weg. Dafür sind die Sitze in beiden Fahrzeugen erstklassig – straff gepolstert und langstreckentauglich. Das FMX-Fahrerhaus mit stark geneigter Frontscheibe zählt zu den ältesten im Volvo-Programm und dürfte bald erneuert werden.
Mit Wohlfühlambiente
Insgesamt kommt hinter dem Steuer des FMX mehr Wohlfühlambiente auf. Die Armarturen sind Volvo-like. Schalter und Bedienhebel stammen aus dem FH. Das Lenkrad mit Multifunktionstasten ist ein paar Nummern größer als im FL, wo es keine zusätzlichen Bedientasten am Volant gibt. Mit seinen fast 5 cm mehr im Durchmesser soll der Allrader auch bei Ausfall der Einkreis-Servounterstützung lenkbar bleiben. Dafür arbeitet die FMX-Lenkung mit einer ungewohnt hohen 26:1-Übersetzung. Zum Vergleich: In der Volvo-Sattelzugmaschine beträgt das Verhältnis 18:1. Die höhere Übersetzung im FMX sorgt für extreme Leichtgängigkeit und fehlendem Widerstand. Der Mann am Steuer ist so während der Fahrt ständig mit leichten Lenkradbewegungen um den Null-Punkt beschäftigt. Die Lenkung wirkt dadurch schwammig, der direkte Kontakt zur Fahrbahn fehlt. Daran muss man sich gewöhnen.
Im FL klappt das Lenken besser, wobei auch hier aufgrund des Allradantriebs kleine Lenkkorrekturen in Kurven nötig sind. Trotz Gemeinschaftskabine hat Volvo den Innenraum im FL eigenständig und hochwertig möbliert. Bei der Bedienung muss der Fahrer umdenken und mit den speziellen französischen Eigenheiten klarkommen. So gehen die unpraktischen Renault-Bediensatelliten hinter dem Lenkrad, eine Ehe mit der beispielhaften Tastenklaviatur von Volvo ein. Der Motorbremshebel sitzt ungewohnt links. Wer sich damit arrangiert, kommt mit dem FL gut zurecht.
Vorteilhaft ist die tiefe Verglasung der Türen. Sie erhöht das Sichtfeld und macht sich im Bau- und Nahverkehr bestens. Der Einstieg über zwei stabile Trittstufen könnte kaum leichter fallen. In den FMX gelangt der Fahrer über drei treppenartig angebrachte Stufen, von denen die erste beweglich ist und bei Remplern wegklappt.
Innovative Kraftpakete
Beim Antrieb gehen die beiden Baureihen ebenfalls getrennte Wege. Im FL 280 werkelt der 7,7 l große Sechszylinder, der einen gesunden Eindruck vermittelt und mit LKW-typischen Manieren zur Sache geht. Im Fahrbetrieb gibt er sich schon mit niedrigen Drehzahlen zufrieden.
Der gemeinsam mit Nissan entwickelte Reihensechser mobilisiert 280 PS und moderate 1.050 Nm Drehmoment, das bereits ab 950/min über ein breites Drehzahlband bereitsteht. Damit ist der 16-Tonner für den Solobetrieb kräftig und mit Anhänger noch ausreichend motorisiert.
Ein motorseitiger Nebenabtrieb auf Zwölf-Uhr-Stellung liefert 600 Nm, womit sich eine breite Palette an Aufbaumöglichkeiten realisieren lässt. Besonders bei Bau- und Kommunalbetrieben dürfte er auf hohe Akzeptanz stoßen. Nicht nur beim Vortrieb, auch mit der bis 170 kW starken Kompressionsbremse schneidet der Motor gut ab.
In Zusammenspiel mit den Scheibenbremsen rundum ist es genug, um auch eine maximal 25 t schwere Anhängerkombination in Zaum zu halten. Im FMX gibt es Hubraum und Leistung satt. Der Volvo D13K40 mit seinen 460 PS und 2.300 Nm maximales Drehmoment macht den FMX sicher zu einem der kräftigsten Solo-Allrader in der 18-t-Gewichtsklasse. Der 12,8 l große Reihensechszylinder liefert einen kernigen Sound, der nur gedämpft ans Fahrerohr dringt und auch unter Volllast nicht lästig wird. Geht es ums Fahren, braucht dieser Motor keinen Vergleich scheuen. Schon bei 900/min wuchtet das Triebwerk ohne Murren 1.400 Nm auf die Kurbelwelle. Das entspricht bereits 60 Prozent des maximalen Drehmoments. Seine größte Leistung ist bei 1.400 Touren erreicht, die er bis 1.800/min aufrecht hält.
Intelligente Schaltung
Den Griff zur Schaltkonsole am Sitz kann man sich sparen. Das automatisierte I-Shift-Getriebe kann fast alles, was ein erfahrener Kipperfahrer mit seinem Handschaltgetriebe schafft. Zusätzlich ist der LKW mit ATC (Automatic Traction Control) an der Vorderachse ausgestattet.
Der Allradantrieb wird automatisch aktiviert, wenn sich der FMX in extremem Gelände oder auf rutschigem Untergrund befindet. Sensoren an den Hinterrädern melden, wenn die Traktion verloren geht. Dann wird sofort der Allradantrieb zugeschaltet. Die angetriebene Vorderachse bleibt zugeschaltet, bis der Fahrer vom Gas geht. Zusätzlich gibt es einen Schalter in der Armaturentafel, mit dem sich die Vorderachse manuell aktivieren lässt.Beim Anfahren an Steigungen hilft die per Tastendruck aktivierte Berganfahrhilfe. Die elektrische Handbremse löst automatisch, wenn das Motordrehmoment die Haltekräfte übersteigt. Das Zwölfgang-Getriebe mit zwei zusätzlichen Crawlern schaltet blitzschnell in die nächsten Gänge, sofern der Fahrer den Modus „P+“ für Extra-Performance im Gelände wählt.
Die Kriechgänge erlauben ein fein dosiertes Anfahren mit extrem niedrigen Geschwindigkeiten von 0,5 bis 2 km/h – eine große Hilfe bei schweren Lasten, auf losem Untergrund oder in Steigungen. Unter Umständen verhindert sie sogar ein Festfahren im Gelände. Sollte das passieren hilft dem FMX der Freischaukelmodus der I-Shift. Fehlende Kraft im Gelände gleicht der Volvo FL 280 mit seiner Allison-Automatik samt Drehmomentwandler aus. Die Automatik wechselt ohne Zugkraftunterbrechung sehr flink ihre sechs Gänge. Mit 1.500/min rollt der 16-Tonner im größten Gang mit 80 km/h auf der Autobahn. Bei Landstraßentempo liegen 1.200/min an der Kurbelwelle an. Im schweren Gelände und bei voller Beladung wirkt sich die Erhöhung des Drehmoments von 1,77:1 im ersten Gang vorteilhaft aus. Das Anfahren und Rangieren gelingt so sanft und verschleißfrei. Schon ab dem zweiten Gang setzt die Wandler-Überbrückungskupplung ein und stellt eine mechanische Verbindung zwischen An- und Abtriebsseite her, was den Wirkungsgrad erhöht. Reicht das nicht aus, ist per Knopfdruck die kurze Übersetzung des Verteilergetriebes aktiv und liefert mehr Kraft an den Rädern. Sowohl die angetriebene und einfach übersetzte Vorder- als auch die Hinterachse sind mit Nabenvorgelege samt Kegelradplanetengetriebe ausgestattet. Ein integrierter Primär-Retarder mit bis zu 1.760 Nm Bremsmoment sorgt für verschleißfreies Verzögern der Fuhre. Auf rauem Terrain liefern zuschaltbaren Differenzialsperren längs und quer Unterstützung, die es sowohl im allradgetriebenen FL als auch im FMX gibt. Sie werden mittels separater Kippschalter aktiviert, die etwas fummelig zu bedienen sind. Ein Drehschalter mit logischer Reihenfolge – erst Längs-, dann Quersperre wie bei manchem Wettbewerber – wäre hilfreich. Dann braucht niemand lange suchen und kann sich selbst in hektischen Momenten nicht mehr vertun.
Robuster Racker
Das besonders hohe Fahrgestell (XX-High) mit 22.5-Zoll-Rädern des Volvo FL 4×4 und die konsequent nach oben verlegten Stabilisatoren sorgen für eine hohe Bodenfreiheit von rund 33 cm unter den Achsen. Das sind bis zu 10 cm mehr als beim FL für die Straßen. Daraus resultiert ein vorderer Böschungswinkel von 26 Grad, sofern die Aufnahmeplatte für den Schneepflug demontiert ist. Beide Werte helfen, ohne Steckenbleiben und ohne Schäden durch unwegsames Gelände mit steilen Anstiegen zu kommen. Eine massive, 3 mm starke Stahlschutzplatte wie im FMX, die Kühler und Motor unten herum gut schützt, gibt es am FL nicht. Dafür gehört ein robuster Stahlstoßfänger zum Serienumfang. Die Achsen hängen an verstärkten Parabelfedern, die vorn zwei und hinten drei Federblätter aufweisen. Damit gibt sich der Offroader eher rustikal als komfortabel. Ohne Ladung und auf schlechter Straße schüttelt es den Fahrer schon mal kräftig durch, zumal es auch keine Luftfederung für das Fahrerhaus wie im FMX gibt. Das FMX-Fahrerhaus verfügt über eine Vier-Punkt-Luftfederung, die zusammen mit den Drei-Platt-Parabelfedern vorn und der Vier-Balg-Bauluftfederung hinten sowohl leer als auch beladen einen höheren Fahrkomfort liefern und Stöße kaum bis in den luftgefederten Komfortsitz durchdringen lassen. Die Straßenlage ist fantastisch. Nachteil dieser Konstruktion: Im Gelände weißt die schluckfreudige Bauluftfederung etwas weniger Verschränkungsspielraum als die Parabelfedern auf. Damit müssen die Sperren früher als im FL für ausreichend Traktion sorgen. Die Bodenfreiheit des FMX ist ebenfalls beachtlich. Nichts stört am Unterboden. Hier wurde der verstärkte Stabi an der Hinterachse im Rahmen integriert. Steile Anstiege und Abfahrten sowie größere Brocken werden mit großzügigen Böschungswinkeln (vorn 27 Grad) überrollt. Und wenn‘s mal knirscht, muss der Fahrer weder um Kühler noch Ölwanne fürchten. Beide verbergen sich hinter besagtem Schutzblech.
Unser Fazit
Beide – FL wie FMX – eignen sich in Allradversion für den Offroadeinsatz im Bau und sollten ihre Käufer finden. Sie sind solide konstruiert und gefertigt. Ihre Antriebsstränge sind perfekt abgestimmt. Wer die Wahl hat, greift zum FMX. Der bietet als 18-Tonner die höheren Lastreserven und dank Bauluftfederung hohen Fahrkomfort. Im Soloeinsatz gibt er sicher auch mit dem leichteren 10,8-l-Motor und etwas weniger PS eine gute Figur ab. Trotz des in die Jahre gekommen FMX-Fahrerhauses wirken die Anzeigen und Bedienelemente weniger angestaubt als im FL. Der 16-Tonner kann vor allem mit seinem übersichtlichen Fahrerhaus und dem Automatikgetriebe samt Drehmomentwandler punkten. Sein permanenter Allradantrieb dürfte aber die Treibstoffkosten stärker in die Höhe treiben, als es beim FMX mit ATC der Fall ist.
Frank Hausmann