Schön grün, schön teuer

Alternative oder konventionelle Technik – der Atego Hybrid muss sich gegen die dieselgetriebene Fraktion bewähren. Er spart auch fleißig Kraftstoff, bleibt aber wegen hoher Aufpreise chancenlos.

Weit mehr als ein Jahrzehnt schon besorgt der Atego das europäische Verteilergeschäft, sein Nachfolger scharrt bereits auf den Teststrecken Europas mit seinen Rädern. Der mittelschwere Mercedes-LKW gilt als verlässlicher und langlebiger Partner, zum Ende seiner Karriere kann der Kunde den Verteiler-LKW Atego sogar mit Hybrid-Antrieb ordern, alternativ dazu mit automatisiertem Getriebe oder handgeschaltet mit Retarder und Start-Stopp-System. Man muss den Mercedes-Technikern auch bescheinigen, dass sie trotz neuer Actros-, Antos- oder Arocs-Typen auch ihren mittelschweren Nahverkehrsspezialisten Atego über die Jahre stets aktualisiert haben. Statt des altbackenen Druckluftbremssystems kommt jetzt ein elektronisches EBS-System zum Einsatz, sogar das lästige Fahrerhauskippen per vorgespannter Feder- und Muskelkraft wird jetzt von einer Hydraulikpumpe übernommen. Das automatisierte Telligent-Sechsganggetriebe gibt es längst, jetzt kann der Kunde ein Start-Stopp-System dazu ordern. Auf den ESP-Kipp- und Schleuderschutz muss er dagegen verzichten, dafür steht ein richtiger Retarder als Dauerbremse für schwierige Topografien oder für den Zugbetrieb in der Optionsliste – das gibt es bisher bei keinem Wettbewerber.

Alleinstellungsmerkmal Hybridantrieb

Auch einen Hybridantrieb vermisst man in den Verkaufsunterlagen von MAN & Co. Nur bei Mercedes (und beim Konzernkollegen Fuso Canter) findet man eben solchen. Der sich bislang nur in homöopathischen Dosen (etwa 100 Einheiten) verkauft. Kein Wunder: Denn was die Hybriden zu leisten vermögen, blieb bislang immer ein Hersteller-Geheimnis. Was haben wir Seiten gefüllt mit Berichten über Hybrid-Innovationen – die Prototypen kamen und gingen. Und verschwanden jahrelang in der Versenkung, in der stillschweigend geschraubt, geforscht und getestet wurde. Den einen oder anderen Feldversuch haben wir publizistisch begleitet. So gut es eben ging, die Hersteller und die beteiligten Betreiber gaben und geben sich noch immer zugeknöpft. Aber jetzt soll alles anders werden: Mercedes stellt sich mit seinem käuflich erwerbbaren Hybrid-Atego mutig unserem strengen Test und wagt öffentlich dem Vergleich mit seinen konventionellen Markenkollegen. Gefahren und getestet wird auf einer exakt vermessenen Testrunde – etwa 600 Kilometer wurden absolviert, am Steuer saßen abwechselnd Transportprofis mit unterschiedlichen Temperamenten und Fahrstilen, die Tempo und Verbrauch bestimmten. Am Ende spielte sich der Atego mit den zwei Herzen nach vorn, so viel sei schon jetzt verraten. Mit hohen Fahrleistungen und geringem Kraftstoffverbrauch übertrumpfte er seine beinahe baugleichen Kollegen überraschend deutlich. Obwohl diese, wie wir durchaus anerkennen, ebenfalls sparsam mit dem teuren Dieselkraftstoff umgingen.

60 Prozent Mehrpreis

Mautfreie 12 t gelten in Stadt und über Land als Maß aller Dinge, der Atego als 7,49-Tonner hat als Trockenfrachtkoffer mit Ladebordwand nicht viel mehr als 2 t Nutzlast zu bieten. Der 8,7 m lange Atego 1222 Hybrid bringt leer 6,8 t auf die Waage, rein dieselbetrieben bleiben für die Ladung 350 kg mehr. Kein allzu großer Malus im Alltag, nur der stattliche 60-prozentige Mehrpreis verhagelt die Bilanz nachhaltig.
Seine beiden Testgefährten haben es als Fahrzeuge von der Stange einfacher, Sympathien zu gewinnen: mit flink durch die Gassen eilendem Schalthebel oder mit einem wohl komponierten Antriebsstrang. Hauptdarsteller ist freilich der dieselelektrisch getriebene Bluetec-Hybride, der sich im städtischen Revier schnell heimisch fühlt. Das Anfahren wird elektrisch erledigt, spätestens ab 20 km/h schaltet sich der Diesel mit dem 3. Gang zu, in eiligen Fällen hilft der E-Motor mit 420 Nm nach. Dann beschleunigt der Lastwagen fast so forsch wie ein Sprinter der gleichen Marke. Mit flüchtigem Kontakt zum Fahrpedal und voller Batterie gelingt ein kurzer elektrischer Sprint zur nächsten Kreuzung – beinahe kostenfrei. Alle Aktivitäten des Atego werden vom laufenden Diesel-Vierzylinder begleitet, der gemütlich mit Leerlaufdrehzahlen tuckert. Man braucht ihn, um Nebenaggregate wie die Lenkservopumpe und den Kompressor zu betreiben. Der Atego Bluetec Hybrid ist noch immer ein Atego, mit Starter und Starterbatterie. An der Grundausstattung des Atego 1222 hat sich wenig geändert. Naturbelassen sorgt ein kräftiger Vierzylinder mit 218 PS und 810 Nm Drehmoment für den Primärantrieb, der mit Hilfe eines automatisierten Telligent-Sechsganggetriebes bereits zu standesgemäßen Fahrleistungen bereit ist. Fürs elektrische Fahren installieren die Mercedes-Techniker einen 44 kW (60 PS) starken Elektromotor vom Systemlieferanten Eaton, der im Schubbetrieb als Generator für die Bremsenergie-Rückgewinnung dient. Die entstehende elektrische Energie wird in einer 110 kg schweren Lithium-Ionen-Batterie mit 345 V Betriebsspannung gespeichert und für Beschleunigungsvorgänge abgerufen. Und zwar mit einem energischen Tritt aufs Bremspedal, aber nicht zu fest. Sonst beißen die Reibbeläge der Scheibenbremsen zu, die nur Wärme produzieren.

Kraftstoff sparen mit Bedacht

Wenn der Zwölftonner steht, an der roten Ampel beispielsweise, hat der Diesel Pause – im Idealfall. Nach einer Gedenkminute schaltet er verzögert ab, just in dem Moment, an dem man losfahren möchte. So ist jedenfalls nicht viel gewonnen. Die Kupplung trennt den Verbrennungsmotor vom Antriebsstrang. Nicht nur im Stand, auch beim elektrischen Anfahren und im Schub- und Ladebetrieb. Man muss sich schon auf die ungewohnte Fahrzeugtechnik einlassen: sanft beschleunigen, durchaus kräftig, aber nicht zu heftig bremsen. In der Stadt mit vielen Starts und Stopps fördert das sofort das Sparvermögen. 19 bis 24 Prozent weniger Kraftstoff verbrennt der grüne Hybride im Vergleich mit sonst baugleichen Diesel-Kollegen und übertrifft die Werbeaussagen des Herstellers deutlich – je schwerer der Einsatz, desto besser.
Doch das ist nur die halbe Miete, gleich geht es auf Überlandkurs. Und gewiss nicht langsam, der Atego-Hybride erweist sich dabei als flotter Verteiler, gerade recht, wenn es ins hügelige Umland geht. Mit voller Batterie und 60 elektrischen Extra-PS bergauf, bergab bremst der E-Motor sanft und verschleißfrei wie ein Retarder und bringt dabei die Batterie in Bestform. Auf schnellen Etappen verbreitet der kräftige, aber ungehobelte Vierzylinder-Diesel gute Laune, wenn seine 218 PS überschaubare 12 t spielend beherrschen. Sprit sparen fällt hier nicht schwer: mit Leistungseinsatz den Hügel hinauf, bergab die Batterie laden. Die schafft es freilich nicht lange, dann ist ihr Ladevermögen erschöpft. Mit dem Ergebnis, dass jetzt Bremswiderstände in Aktion treten und die überschüssige Energie in Wärme wandeln. Eine größere Batterie könnte es richten, doch da winken die Mercedes-Entwickler ab: „… zu schwer und zu teuer“. Vielleicht ein Fall für zusätzliche Superkondensatoren, hier warten wir gespannt auf die nächste Generation. Aber das Landstraßenergebnis spricht schon heute Bände: Etwa 14 Prozent weniger Kraftstoff ohne Abstriche bei den Fahrleistungen, hier wird beinahe automatisch gespart.
Was uns bei den herkömmlichen Ategos gefällt, soll hier nicht unterschlagen werden: Hier verdient sich der Magnetarder (von Voith) Extrapunkte – ein nur 39 kg schwerer Wirbelstromretarder, der ganz ohne Hilfsenergie auskommt, greift der eher schwächlichen Motorbremse im Dauerbremsbetrieb mit 650 Nm Bremsmoment tatkräftig unter die Arme. Auch das automatisierte Telligent-Getriebe weiß zu gefallen. Es schaltet sorgsam und komfortabel, vielleicht etwas weniger leistungsorientiert als andere. Was am wenig leistungsfreudigen Motor liegt, das wird sich beim Nachfolger ändern. Zum Einsatz kommt dann ein 5,1 l großer Vierzylinder mit allen Zutaten des modernen Maschinenbaus, der dem neuen Atego gehörig Beine machen wird.

Unser Fazit

Marktfähig wird die Hybridtechnologie früher oder später, wenn der Spritpreis weiter steigt. Zum aktuellen Aufpreis müsste der Atego Hybrid endlose 1,5 Millionen Kilometer fahren und sparen, viel zu viel für eine wirtschaftliche Entscheidung. Doch die Uhr läuft, deshalb stehen alle Fahrzeug- und Komponentenhersteller bei Fuß. Mercedes-Benz ist einen Schritt weiter, der Hersteller bietet schon heute ein praxisgerechtes Fahrzeug für den Verteilereinsatz. Dessen Spriteinsparung im Test belegt, dass dieselelektrische Antriebe nicht nur in der Stadt sinnvoll einsetzbar wären. Über Land und mit höheren Kilometerleistungen zahlt der Hybrid-Atego an der Tankstelle das teure Investment schneller zurück. Er könnte weit mehr, mit reaktionsschnellerem Start-Stopp-System und elektrifizierten Nebenaggregaten. Und verbesserter Speicherkapazität, Plug-in-Technologie und Superkondensatoren könnten das Batteriesystem sinnvoll ergänzen. Aber das ist eine andere Geschichte, wir kommen darauf zurück.

Technische Daten
MB Atego 1222 Hybrid
Motor
Bauart/Ventile Reihenvierzylinder, drei Ventile pro Zylinder, Turboaufladung, Ladeluftkühlung
Abgasnorm Euro 5/EEV (SCR),
EinspritzungPumpe-Leitung-Düse
Hubraum in l
4,80
Leistung PS (kW)/min
218 (160)/2.200
Drehmoment Nm/min810/1.200–1.600

Hybridkomponenten
Elektromaschine Eaton Synchron-Motor, wassergekühlt
Spitzen-/Dauerleistung (PS/kW)60/44 bis 39/29
Max. Drehmoment Nm
420
Energiespeicher Lithium-Ionen-Batterie
Betriebsspannung in V
340
Kapazität in kWh
1,9
Gewicht in kg
110
Bauart/Ventile Reihenvierzylinder, drei Ventile pro Zylinder, Turboaufladung, Ladeluftkühlung
AbgasnormEuro 5/EEV (SCR),
EinspritzungPumpe-Leitung-Düse
Hubraum in l
4,80
Leistung PS (kW)/min
218 (160)/2200
Drehmoment Nm/min810/1.200–1.600

Kraftübertragung
Getriebe automatisiert, 6-Gang
Typ MB G 85-6
Bordelektrik
Generator V/A 28/100
Batterie V/Ah24/165

Fahrgestell
Vorderachse starre Faustachse
Hinterachse Hypoid, Diff-Sperre
Federung v/h Blatt/ Luft
Stabilisatorvorne/hinten
Bremsen v/h
EBS-Bremssystem,
Scheiben / Scheiben
Sicherheitssysteme
ABS, ASR
DauerbremseAuspuffklappe plus
elektrischer Generator

Maße
und Gewichte
L x B x H mm
7.743 x 2.540 x 3.290
Radstand mm4.220
Tankinhalt Diesel/Additive l
125/25
zul. Gesamtgewicht kg11.990

 

Wolfgang Tschakert