Der Zwillingsbruder des VW E-Crafter überzeugt durch eine Fahrt frei von Abgasen und Geräuschen, durch Leistungsentfaltung und bekannte Qualitäten rund um Cockpit und Fahrwerk. Mal arbeitet der E-Transporter in E-Moll, mal in E-Dur.

Leise summt der MAN E-TGE durch die Altstadt. Das mit Abstand lauteste Geräusch an Bord verursacht das Abrollen der Reifen auf den Pflasterstraßen, hinzu kommen der Lärm der Verbrennungsmotoren rundum und das lästige kurze Anlasserorgeln von Start-Stopp-Motoren.

Der MAN wispert an der „Hexengasse“ vorbei, indes ist nahezu geräuschlose Fahrt mit Elektroantrieb keine Hexerei. Am Scheitelpunkt der Route teilen sich einige Fußgänger und noch weniger Autos ein paar Meter der Strecke. Hupen wäre ungehörig.

Also langsam und vorsichtig anschleichen, mit einem Lächeln und einem freundlichen Wink auf die überraschten Gesichter reagieren, wenn die Passanten den Transporter bemerken. Das ist MAN E-TGE in E-Moll, sanft und zurückhaltend. Damit jeder merkt, wer hier so erschreckend leise herangleitet, hat MAN seinem weißen Kastenwagen ein wenig Kriegsbemalung gegönnt. Trotz der Hinweise: Unter dem Blech verbirgt sich mehr VW als MAN.

Wie sein Zwillingsbruder E-Crafter übernimmt der E-TGE die leicht modifizierte Technik aus dem elektrifizierten Golf. Vorteil: Sie ist verfügbar, sonst gäb’s diesen Transporter in Schleicher-Ausführung vermutlich noch nicht. Nachteil: Die Technik ist nicht in jedem Punkt treffsicher für Ansprüche an einen großen Transporter.

Er schnellt los wie ein Pfeil
Tief unter der Motorhaube hockt ein Elektrotriebwerk mit einer Leistung von 100 kW, die Umrechnung in Pferdestärken kann man sich bei E-Technik sparen. Die Maschine bringt es außerdem auf 290 Nm Drehmoment.

Das klingt nicht üppig, bedeutet aber bei E-Motoren volle Kraft voraus bereits aus dem Stand und nicht allmählich über die Drehzahl à la Verbrennungsmotor. Das Ergebnis ist immer wieder verblüffend: An der Ampel schaltet der ETGE nach kurzer Gedenksekunde urplötzlich von E-Moll auf E-Dur um, schnellt los wie ein Pfeil von der Sehne, beschleunigt so rasant wie gleichmäßig und leise. Wer an der nächsten Spurverengung die Transporternase vorn haben will, der sitzt im E-TGE genau richtig. Gas geben – oder besser Strom – reicht vollauf. Aber dabei bitte aufpassen, sonst durchbricht der E-TGE hemmungslos das Tempolimit – die akustische Geräuschbremse des Diesels fehlt.

Ohnehin empfiehlt sich eine gewisse Aufmerksamkeit: Ein Powermeter anstelle des Drehzahlmessers zeigt auf seiner Skala deutlich, wenn’s der Fahrer übertreibt. An der nächsten Ampel ist es ohnehin mit der Herrlichkeit vorbei. Wer geschickt darauf zurollt und mit dem Fahrpedal umzugehen weiß, der schafft es dank kräftiger Rekuperation bis zum Stopp nahezu ohne Tritt auf die Bremse. Verzögert allein durch Anhaben des rechten Fußes und lädt die Batterien dabei wieder ein wenig auf.

Die grüne Markierung des Powermeters zeigt, was hier passiert. Aufmerksame Fahrer blicken ab und zu außerdem aufs mittige Display und addieren überschlägig die gewonnenen Wattstunden. Im knackigen Stadtverkehr kommt in einer halben Stunde schnell eine Kilowattstunde zusammen, das streichelt die Fahrerseele.

Und es entspannt die Lage an Bord, denn die Batterie stammt ebenfalls aus dem Golf und ist mit 35,8 kWh für einen großen Transporter eher knapp bemessen. MAN verspricht eine Reichweite von bis zu 173 Kilometern nach Norm. Doch dafür wären gleichzeitig dauerhafter Rückenwind und Dauergefälle nötig. Etwa 120 Kilometer zwischen den Aufladungen sind realistisch. Wenn der Fahrer sich ein wenig zügelt und je nach Jahreszeit auf Klimaanlage und Heizung verzichtet.

Das reicht für viele Einsätze aus. Aber Vorsicht: Die Batterie-Garantie auf acht Jahre und 160.000 Kilometer sichert nur eine Akku-Kapazität von 70 Prozent, das könnte knapp werden.

Viel mehr als nur Kastenwagen
Der Eindruck täuscht: Längst nicht jeder Großtransporter rund um 3,5 t Gesamtgewicht kurvt als Kastenwagen durch Stadt und Land. Mehr als jeder dritte MAN TGE erhält einen Aufbau oder Ausbau. Mit dieser Quote hängt MAN den baugleichen VW Crafter spielend ab. Die Gründe sind vielfältig: MAN spricht andere Käufer an und agiert als klassischer LKW-Hersteller beim Thema Aufbauten offener. Auch umgekehrt wird dann ein Schuh draus: Aufbauer schätzen MAN als Partner.

Manche Modelle sind im Ein-Rechnungs-Geschäft für Komplettfahrzeuge ab Werk zwischen VW und MAN identisch, die Pritsche, die Kastenwagen-Doka zusammen mit Snoeks oder der Henschel-Kipper. Wo VW aufhört, fängt MAN dagegen erst richtig an.

Da wären diverse Kipper von Scattolini und Schoon, Koffer von Junge und Spier, der Kühlausbau von Kerstner, Werkstattausbauten von Bott und Sortimo sowie Minibusse. Ab Juli kommt ein KEP-Ausbau von Sommer hinzu.

Und wenn sich VW mit einem Kombi schwertut, dann baut MAN ihn eben zusammen mit seinen Minibussen im Werk Plauen. Wie wäre es zum Beispiel mit Leichtbau- oder Plywoodkoffern aus dem Hause Spier von 15 bis 22 m3?

Oder einem vollelektrisch angetriebenen Frischdienst-Ausbau von Kerstner mit Kühlaggregat in zwei Leistungsklassen auf dem Dach? Vielleicht einem Scattolini-Dreiseitenkipper aus Stahl mit leichten Aluminium-Bordwänden? Alle Ein-Rechnungs-Modelle stecken im MAN-Konfigurator.

Und wenn’s kompliziert wird, etwa bei abweichenden Regalen für einen Werkstattwagen oder bei der abgebildeten Doppelkabine mit Kipper und Werkzeugschrank, dann wird zusammen mit Hersteller oder Händler eine passende Lösung entwickelt. „Wir sehen uns als Aufbauversteher“, erklärt deshalb Eike Stehmann vom MAN-Aufbaumanagement. Deshalb gibt es Doka-Kipper zum Beispiel nur von MAN, hier hängt es mit der Verteilung der Nutzlast zwischen Doka und Aufbau und der entsprechenden Zulassung als LKW oder PKW zusammen, ein diffiziles Thema.

Ein typischer Fall ist der abgebildete Kipper von Schoon, 2,2 m lang und 2,14 m breit. Die Rahmenteile sind feuerverzinkt, die Bodenplatte besteht aus Stahlblech, die Bordwände aus Aluminium. Sie erhalten Ergänzung durch stabile und beim Kippen pendelnde Gittern als Erhöhung.

„Wir sehen uns als Aufbauversteher“, erklärt Eike Stehmann vom MAN-Aufbaumanagement.

Die Heckbordwand ist pendel- und abklappbar, Zurrösen sind im Boden eingelassen. Anstelle einer simplen Werkzeugkiste auf der Ladefläche oder unter dem Aufbau ist hier ein hochwertiger Geräte-/Werkzeugkasten zwischen Doka und Aufbau montiert.

Er ist 600 mm lang, reicht über die gesamte Breite und hat es im Wortsinne in sich: Abschließbare Aluminiumrollos geben den Inhalt frei.

Ein höhenverstellbarer Regalboden sortiert die Gerätschaften, sie werden von einer LED-Beleuchtung angestrahlt. Im unteren Bereich nimmt ein leichtlaufender Schubladencontainer das Werkzeug auf. So müssen Aufbauten sein – funktionell, stabil und eigentlich verblüffend einfach.

Steckdose in der Nase?
Überschaubar ist auch die Nutzlast mit einer knappen Tonne. Einen Ausweg bietet die Zulassung als 4,25-Tonner. Eine Anhängelast ist für den E-TGE nicht vorgesehen und zurzeit auch nicht mehr als eine Standardgröße des Kastenwagens – aller Anfang ist schwer.

Zurück auf die Straße: Die 24 kWh Stromverbrauch des Testwagens sind deutlich realistischer als die Norm-Fabelwerte, werden in der Realität eher nach oben streuen. Für eventuelles Zwischenladen ist der E-TGE dank Schnellladefähigkeit gut gerüstet.

Über die Position der Steckdose allerdings lässt sich nachsinnen: Sie ist links unten an der B-Säule anstelle des klassischen Tankstutzens angesiedelt. Doch was an der Tanksäule prima funktioniert, harmoniert nicht immer mit den Parkmöglichkeiten an Ladesäulen – wie wäre es mit einer Steckdose in der Nase des MAN-Löwen?

Damit jeder merkt, wer hier so erschreckend leise herangleitet, hat MAN seinem weißen Kastenwagen ein wenig Kriegsbemalung gegönnt.

Alles andere dagegen sitzt nahezu perfekt: Das feine Fahrwerk wirkt durch das Batteriepaket mit rund 350 Kilo Gewicht unter dem Ladeboden noch satter.

Das Cockpit ist mit einfacher Bedienung, übersichtlichen Instrumenten, praktischen Ablagen und komfortablen Sitzen über Kritik fast schon erhaben.

Hinzu kommt eine Komplett-Ausstattung von LED-Scheinwerfern über ein Navi bis zur Rückfahrkamera und einer Sammlung Assistenzsysteme.

Einiges davon spart Strom, vieles bewahrt vor Schaden, alles zusammen soll den saftigen Preis von netto 69.500 Euro rechtfertigen (ohne Fördermittel).

Sogar ein Tempomat ist an Bord, warum auch immer, denn der E-TGE wird schon als 3,5-Tonner bei 90 Sachen abgeregelt. Überholversuche von LKW sind daher sinnlos, bergab spürt man ihren heißen Atem, wünscht sich Reserven bis Tempo 100.

Etwa 120 Kilometer zwischen den Aufladungen sind realistisch. Wenn der Fahrer sich ein wenig zügelt …

Zurück in die Stadt, vorneweg rollt zufällig ein Caddy TDI mit der Aufschrift „Für eine saubere Umwelt“.

Das klingt angesichts des Diesel-Skandals vermessen. Der E-TGE dagegen pflügt ohne schlechtes Gewissen seines Fahrers nochmals durch ein Wohngebiet. Man hört, dass man nichts hört und erschreckt in E-Moll mit ganz leisem Vergnügen nochmals den einen oder anderen Passanten.

Randolf Unruh