Premiere für eine Weltneuheit: Daimler Truck und Linde nahmen am 7. Februar die erste öffentliche Tankstelle mit sLH2-Technologie in Betrieb. Die Unternehmen wollen damit einen internationalen Standard setzen.
Der Beitrag ist noch nicht im KFZ anzeiger erschienen, seine Erstveröffentlichung erfolgt online. Autorin ist Dr. Susanne Roeder.
Eiskalt und aufgrund seiner großen Dichte sehr effizient und reichweitenstark – das ist sLH2, subcooled Liquid Hydrogen, der ab sofort in Wörth am Rhein für Long-Haul-Lastwagen zur Verfügung steht. Möglich wurde diese weltweit erste Flüssigwasserstoff-Tankstelle durch die sehr enge Entwicklungsarbeit zwischen Daimler Truck und Linde Engineering.
Die Produkte der Daimler Truck AG, ob batterieelektrisch oder wasserstoffbetrieben, sind startklar – mit dem Mercedes-Benz GenH2 auch für Strecken über eintausend Kilometer. Jetzt können diese Trucks auch tanken, und zwar so schnell wie ihre Diesel-Kollegen. „Wir sind aus dem Startblock raus. Das Henne-Ei-Problem liegt hinter uns, aber der Weg ist noch lang“, verkündete der Technologievorstand bei Daimler Truck, Andreas Gorbach (Foto oben, rechts).
Die weltweit erste Tankstelle dieser Art steht an der Bundesstraße 9 in Wörth am Rhein, unweit des Entwicklungs- und Forschungszentrums (EVZ) der Daimler Truck AG. Das Gute daran: Die Tankstelle mit dem weithin sichtbaren Speicherturm ist öffentlich, sie kann also von jedem Lkw angefahren werden, der Flüssigwasserstoff tanken kann. Deren Zahl soll spätestens in der zweiten Hälfte der Dekade spürbar zunehmen, so das erklärte Ziel von Daimler Truck und Linde, dem weltweit größten Betreiber von Produktions- und Verteilungsinfrastruktur für Wasserstoff.
Entsprechend erfreut ist auch der Hausherr des EVZ, Christoph Weber: „Für uns ist heute ein spannender Tag. Hier in Wörth im EVZ ist die Wiege unserer neuen Fahrzeugtechnologien.“ Die Tankstelle in der Pfalz sieht der Entwicklungsingenieur als „neues Mosaiksteinchen in diesem Pfad in die Zukunft“.
Die rheinland-pfälzische Wirtschaftsstaatsekretärin Petra Dick-Walther (Foto oben, Mitte) – sie hatte erst vor wenigen Monaten den Startschuss für die Testfahrt über 1.047 Kilometer des Mercedes-Benz GenH2 Truck von Wörth nach Berlin gegeben – freute sich, jetzt den nächsten Schritt, die Inbetriebnahme der ersten Pilotanlage in ihrem Bundesland, begleiten zu können.
sHL2-Technologie als effizienteste Lösung für Long Haul
„Man kann ihn nicht sehen, nicht fühlen, nicht riechen. Und dennoch wird Wasserstoff bald Tausende Tonnen von Gütern über die Straße transportieren“, ist sich Technologievorstand Gorbach sicher. Dabei gehe es jetzt schlicht um Geschwindigkeit.
Gut 20 Jahre sind vergangen, seit Linde erstmals großflächig in ein Tankstellennetz für Wasserstoff einsteigen wollte. Damals gasförmig und ab 2013 mit einem Druck von 500 bar zur Betankung. Jetzt spricht Linde von einem technologischen Quantensprung. Denn ab sofort ist das für viele Jahre Undenkbare möglich geworden. Verflüssigter Wasserstoff kann genauso schnell getankt werden wie Diesel, den er für Langstecken sukzessive ablösen soll.
subcooled Liquid Hydrogen, sLH2, nennt sich dieser eiskalte Stoff, der auf minus 253 Grad Celsius heruntergekühlt ist und bleibt und genauso angeliefert wird, in die Speicher gefüllt und ohne weitere Zwischenschritte und Verluste direkt an die Lkw der kommenden Jahre abgegeben werden kann. Der Speicher fasst 70.000 Liter, somit vier Tonnen Wasserstoff, und kann damit zehn Stunden lang nonstop Betanken. Zudem, so Linde Engineering, lässt sich die Kapazität der sLH2-Tankstelle durch zwischenzeitliches Nachfüllen auf über acht Tonnen pro Tag erhöhen.
Weil das gesamte Konzept äußerst anwenderfreundlich ist, soll sLH2-Tanken zum globalen Branchenstandard werden. Dafür sprachen sich Andreas Gorbach und Jürgen Nowicki, CEO von Linde Engineering (Foto oben, links), am Tag der offiziellen Inbetriebnahme der Pilotstation in Wörth ausdrücklich aus. In engem Austausch haben der Nutzfahrzeughersteller und Linde Engineering die neue Form des Wasserstofftankens entwickelt. „sLH2 Flüssigwasserstoff erhöht die Effizienz von Wasserstoffbetankungsanlagen erheblich“, erläutert Gorbach. Nowicki bewertet den ultrakalten flüssigen Wasserstoff als „praktische, CO2-neutrale Alternative zur Dieselbetankung im Schwerlastverkehr.“
Nachahmung der Technologie ausdrücklich erwünscht
Einhellig betonen Nowicki und Gorbach, dass dieses Tanken „den Weg für eine flächendeckende Betankungsinfrastruktur ebnet, auf die Logistikketten heute angewiesen sind.“ Deshalb ist es nur konsequent, dass die neue Technologie über eine ISO-Norm für alle weiteren Kunden und Partner zugänglich ist. So soll zügig ein globaler Massenmarkt für dieses Verfahren entstehen. In Duisburg erfolgt zum Beispiel in diesen Tagen die Errichtung einer zweite sLH2-Tankstelle von Air Products. Auch die Schifffahrt könne davon profitieren. „Es ist richtig, den Standard für alle zu öffnen“, sagt Technologievorstand Gorbach. „So kann jetzt eine Kundenflotte von Wörth nach Duisburg pendeln.“ Große Ziele erreiche man mit kleinen Schritten Stück für Stück.
Das Betanken mit sLH2 hat sowohl für die Nutzer als auch für die Betreiber einer solchen Tankstelle erhebliche Vorteile. Zusammengefasst vereinfacht sich das gesamte Tankprocedere erheblich bei gleichzeitig höherer Leistung. Der Tankrüssel wird angesetzt, eine Datenübertragung zwischen Tankstelle und Fahrzeug ist nicht mehr nötig. Nur die sLH2-Pumpe ist neu, um den Druck des flüssigen Wasserstoffs zu erhöhen. In zehn bis 15 Minuten ist ein Mercedes-Benz GenH2 mit 80 Kilogramm Flüssigwasserstoff vollgetankt. Das bedeutet eine Reichweite von über tausend Kilometern. Etwaige Ängste vor dieser Form des Wasserstoffs sind unbegründet. Für den Betankungsvorgang ist keine spezielle Sicherheitsausrüstung erforderlich.
Der Tankrüssel kann an beiden Seiten des Lkw-Chassis angesetzt werden. Beim GenH2 Truck sind die zwei 40-Kilogramm-Tanks miteinander verbunden, sodass ein Tankvorgang genügt, weil der Flüssigwasserstoff weitergeleitet wird. Was bisher als Argument gegen flüssigen Wasserstoff verwendet wurde, greift nicht mehr dank neuer Technologie. Der Wasserstoff bleibt lange im Tank, vermeidet den sogenannten Boil-off-Effekt, wonach bei konventioneller Betankung mit flüssigem Wasserstoff ein Teil gasförmig wird und mit einer zweiten Leitung abgesaugt werden muss. Das neue Verfahren ist sozusagen eine lückenlose Lieferkette. Ein Ingenieur von Daimler Truck drückt es so aus: „Befüllte man unsere Tanks mit Kaffee, so wäre der nach einem halben Jahr noch heiß.“
Deutlich geringere Kosten für Tankstellenbetreiber
Als Betreiber einer solchen Tankstelle wiederum braucht es nur etwa 50 Quadratmeter Fläche plus Zapfsäule. Wie bei herkömmlichen Zapfsäulen sind auch hier paralleles Betanken sowie Betanken nacheinander möglich. Mehr als 400 Kilogramm Wasserstoff pro Stunde können dann fließen. Im Unterhalt seien diese Tankstellen wirtschaftlicher und wartungsärmer als konventionelle Tankstellen. Linde und Daimler Truck sprechen von Investitionen, die sich um den Faktor zwei bis drei reduzieren. Die Betriebskosten fallen sogar um das Fünf- bis Sechsfache, so die Aussagen.
Fünf Mercedes-Benz GenH2 Trucks sollen schon in wenigen Monaten in die Kundenerprobung gehen. Mit dem Hochlauf der GenH2 Trucks in Kundenhand ist geplant, die Flotte Ende des Jahrzehnts schnell weiter auszubauen. Dafür soll ein Netz von mehreren hundert Tankstellen in den nächsten Jahren entstehen. Sowohl Linde als auch Daimler Truck gehen davon aus, dass ein Tanken für vier bis fünf Euro pro Kilogramm Wasserstoff als Zielwert realistisch ist.
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