Das Deutsche Verkehrsforum (DVF) begeht sein 40-jähriges Bestehen. Im Interview beantwortet DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck (Foto), wie es zur Gründung des DVF kam, welche Hindernisse es galt zu überwinden, welche Zukunftsvision das DVF heute hat und welche Perspektive er für den Güterverkehr prognostiziert.
Kurz vor der 40. Mitgliederversammlung des DVF Deutsches Verkehrsforum am 11. April lesen Sie exklusiv auf KFZ-anzeiger.com ein Kurzinterview mit DVF-Geschäftsführer Dr. Florian Eck. Die Langfassung sowie einen kurzen Bericht von der Versammlung finden Sie in Ausgabe 2/24. Autor ist Herbert Schadewald.
KFZ-anzeiger: Das DVF feiert dieses Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Wenn wir 40 Jahre zurückblicken – wie sah der Wirtschaftsverkehr Anfang der 1980er-Jahre aus?
Dr. Florian Eck: Bereits in den bundesdeutschen Nachkriegsjahren veränderte sich der Modal Split im Güterverkehr maßgeblich. Zwischen 1950 und 1984 – dem Gründungsjahr des DVF – fiel der Marktanteil des Schienengüterverkehrs von 57 Prozent auf 30 Prozent. Mit etwa vier Prozent verringerten sich die Binnenschiffanteile in diesem Zeitraum nicht ganz so dramatisch. Da aber die zu bewältigenden Transportmengen durch die weitere Industrialisierung der Bundesrepublik in dem genannten Zeitraum kräftig anstiegen und die Transportentfernungen ebenfalls deutlich zunahmen, profitierte der Straßengüterverkehr. So stiegen die Frachttransporte auf den Straßen um fast das 3,5-fache – von 12,7 Prozent auf 44 Prozent.
Von Beginn an Mobilität als Kernaufgabe
KFZ-anzeiger: Was waren die Gründe dafür?
Eck: Das Straßennetz wurde bis in die 70er-Jahre hinein mehrspurig ausgebaut. Damit hatte der Straßengüterverkehr deutliche Vorteile bei Punkt-zu-Punkt-Verbindungen und konnte seine Flexibilität noch stärker ausbauen. Auf der anderen Seite stand die Deutsche Bundesbahn (DB) in den 1980er-Jahren nach einer Elektrifizierungs- und Sanierungsoffensive vor einem gewaltigen Schuldenberg von über 35 Milliarden DM (gut 18 Milliarden Euro). In diesem Zustand konnte sie die Anforderungen der Wirtschaft wahrlich nicht erfüllen. Die Vordenker in der Wirtschaft sahen jedoch die Schlüsselrolle, die der Bahn aber auch den anderen Verkehrsträgern für die Industrienation zukommt. Sie machten sich für eine leistungsfähige und funktionierende Bahn stark.
KFZ-anzeiger: War das der Auslöser für die DVF-Gründung?
Eck: Ja, am 10. September 1984 gründeten die AEG Telefunken, die Bremer Lagerhaus-Gesellschaft, die Deutsche Eisenbahn-Consulting GmbH, die Deutsche Verkehrskreditbank (DVKB), die Preussag AG, Schenker & Co., die Siemens AG, die Thyssen Industrie AG und die Transfracht Deutsche Transportgesellschaft mbH in Hannover den Förderverein „Verkehrsforum Bahn“. Zu den Gründungsinitiatoren gehörte auch der damalige DB-Vorstandsvorsitzende Dr. Reiner Maria Gohlke. Aber als Sondervermögen des Bundes durfte die DB keine eigene Interessenvertretung betreiben und wurde deshalb auch nicht Forumsmitglied. Am 1. April 1985 wurde dieses „Verkehrsforum Bahn“ offiziell aktiv.
KFZ-anzeiger: Was waren damals die konkreten Ziele des jungen Verbandes?
Eck: Mit dem Verkehrsforum Bahn wollten die Gründungsväter ein leistungsfähiges, marktgerechtes, energiesparendes und umweltfreundliches Verkehrssystem schaffen. Da ja bekanntlich eine moderne Gesellschaft und eine leistungsfähige Wirtschaft die Mobilität voraussetzen, war dies von Beginn an die Kernaufgabe. In erster Linie ging es dabei um die Bahnreform, um die Bundesbahn in ein Wirtschaftsunternehmen zu überführen. Denn die Straßeninfrastruktur wurde immer weiter überlastet. Hinzu kamen Sicherheits- und Umweltprobleme.
Werdegang und Kernaliegen des DVF
KFZ-anzeiger: Können Sie uns den Werdegang des DVF nach den ersten Jahren skizzieren?
Eck: Anfang der 1990er-Jahre gehörten dem „Verkehrsforum Bahn“ bereits über 200 Mitglieder an. Das Ziel einer Bahnreform war in Sicht und terminiert. Und so erfolgte 1992 folgerichtig die Umbenennung dieser Organisation in „Deutsches Verkehrsforum“ (DVF). Denn die bisherige Entwicklung verdeutlichte, dass der Verkehrssektor als ein ganzheitliches System betrachtet werden muss, weil dessen Probleme nur im Zusammenhang gelöst werden können.
1994 war ein wichtiges DVF-Ziel erreicht: Die Deutsche Bahn AG wurde gegründet. Dies war der erste politische und rechtliche Schritt zu einer Entwicklung, deren Herausforderungen bis heute wirken. Mit zahlreichen veröffentlichten Studien, Untersuchungen und Positionspapieren antizipierte das DVF verkehrspolitische Themen, einschließlich Lösungsvorschlägen. So beschäftigte sich das Forum in puncto Straßengütertransport beispielsweise 1993 mit umweltbewusstem Transportmanagement, multimodalen Transportketten und integrierter Verkehrspolitik. 1996 wurde eine Studie zum Nutzen von Verkehrsmitteln erstellt. Dass nur mit einem höheren Vernetzungsgrad der künftige Güterverkehr zu bewältigen sei, darüber waren sich bereits 1997 die Diskussionsteilnehmer während der Internationalen Automobilausstellung (IAA) einig. Bereits 1995 befasste sich der Verband mit den Chancen für eine Flexibilisierung der Lieferzeitfenster, um die Intermodalität zu stärken.
Geprägt wurde die Phase am Ende des 20. Jahrhunderts nicht nur durch die Zusammenführung von Deutscher Bundesbahn und Deutscher Reichsbahn, sondern auch durch den Verkehrsinfrastrukturausbau und dessen Finanzierungvor allem der Ost-West-Magistralen. Dies war schließlich eine verkehrspolitische Kernforderung. Gleichzeitig ging es um Prognosen des künftigen Modal Splits und um den kombinierten Verkehr. Intermodalität, Vernetzung und Digitalisierung sowie eine Finanzierungsreform gehören zu den Kernanliegen des DVF.
Repräsentant für alle Verkehrsträger
KFZ-anzeiger: Und wie stellt sich das DVF heute auf?
Eck: Auch heute repräsentiert das DVF alle Verkehrsträger: Luft, Schiene, Straße und Wasser – und bildet die gesamte Wertschöpfung der affinen Branchen wie Bauwirtschaft, Beratung und Finanzwesen, Energie sowie Telekommunikation ab. Mittlerweile sind im DVF acht Lenkungskreise aktiv, unter anderem Güterverkehr/Logistik und Straßenverkehr. Des Weiteren beteiligen wir uns an Leitmessen, richten Parlamentarische Abende aus, veranstalten Expertengespräche und sind mit unseren Mitgliedern der einzige verkehrsträgerübergreifende Think Tank für die Mobilität der Zukunft. Diese Ideen und Lösungsvorschläge spielen wir an die Politik. Für die nächsten Jahre wird das DVF bei den Themen Finanzierungsarchitektur, Digitalisierung, Aufbau und Verfügbarkeit von Tank- und Ladeinfrastruktur für alternative Kraftstoffe, Abbau von Bürokratie und Berichtspflichten sowie Fachkräftemangel Schwerpunkte setzen.
KFZ-anzeiger: Mit Blick auf den Straßengütertransport: Welche Themen und Impulse hat das DVF hier in den letzten Jahren geliefert?
Eck:Hinsichtlich der europäischen Integration auch im Straßengüterverkehr veröffentlichte das DVF ein Strategiepapier für ein einheitliches europäisches Mautsystem. Einige Jahre zuvor stimmten wir der Nutzerfinanzierung durch die Lkw-Maut unter der Bedingung zu, dass die Einnahmen für den Verkehrsinfrastrukturausbau eingesetzt werden. Gleichzeitig sollte es eine Belastungsneutralität für die Nutzer geben. Nach wie vor plädieren wir dafür, dass der Staat die Verantwortungshoheit für die Bereitstellung der Verkehrsinfrastruktur als öffentliche Aufgabe innehat. Außerdem sollten privatwirtschaftliche Modelle überall dort einbezogen werden, wo sie sich wirtschaftlich als vorteilhaft erweisen. Und schließlich haben wir 2015 einen wesentlichen Impuls für geeignete Rahmenbedingungen zur Schaffung einer Bundesfernstraßengesellschaft gegeben.
Ausblick auf die weitere Entwicklung
KFZ-anzeiger: Wie werden sich die Güterverkehrsströme zukünftig entwickeln?
Eck: Auf der Nachfrageseite des Logistikmarktes gehen die Gutachter des Bundesverkehrsministeriums bei ihrer Verkehrsprognose 2051 von einem Güterstruktureffekt aus, bei dem Stückgüter im Außenhandel und im Binnenverkehr die extrem rückläufigen Massengüter ersetzen. Aufgrund der Energiewende fallen etwa fossile Energieträger wie Kohle und Öl nahezu vollständig weg, Importe brechen hier bis 2051 um 232 Millionen Tonnen ein. Ebenso wird ein Rückgang der Transporte im Stahlbereich und bei der chemischen Industrie angenommen. Wachstumssegmente sind Pakete, Maschinenbau, Fahrzeuge, Holzwaren und Nahrungsmittel. Die Gutachter gehen bis 2051 von einem Wachstum der transportierten Gütermenge auf nahezu 5,7 Milliarden Tonnen aus, also plus 30 Prozent gegenüber 2019. Dabei steigt die Güterverkehrsleistung jährlich um 1,2 Prozent. Für die Verkehrsträger bedeutet diese Prognose, dass der Straßengüterverkehr um 54 Prozent und der Schienengüterverkehr um 33 Prozent steigen werden. Dagegen stagniert die Schifffahrt.
KFZ-anzeiger: Wie beurteilen Sie diese Prognose?
Eck: Wir sehen diese Vorhersage kritisch, weil diese Verkehrsprognose 2051 in mehrfacher Hinsicht als Signal zu verstehen ist. Denn sie enthält mit dem direkten Verweis auf den umzusetzenden Bundesverkehrswegeplan (BVWP) die Selbstverpflichtung des Bundesverkehrsministeriums, diese Projekte zu finanzieren, ohne den Erhalt zu vernachlässigen. Denn das simulierte Netz hat keine Baustellen, keine Engpässe oder verzögerten Bauprojekte, alle Schleusen und Brücken sind wie neu, Stromleitungen liegen, der Deutschlandtakt ist realisiert, das 740m-Netz steht, ETCS (European Train Control System/Digitale Schiene) ist umgesetzt. Und wenn das Netz zur volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bremse wird, stehen nicht nur die Klimaziele auf der Kippe. Andererseits zeigt das hochgerechnete Verkehrswachstum, vor welchen Herausforderungen wir und die nächsten Generationen stehen. Wichtige Zukunftsfragen müssen jetzt im Rahmen einer Gesamtstrategie Güterverkehr und Logistik beantwortet und gelöst werden.
Wir als DVF fordern Planungssicherheit, damit die Logistikunternehmen ihre Investitionsentscheidungen treffen können. Wir müssen wissen, welche Energiesteuern und CO2-Abgaben in den nächsten Jahren zu erwarten sind, welche Kraftstoffe zugelassen werden, ob mit ausreichendem grünem Ladestrom gerechnet werden kann, in welchem Zustand sich die Verkehrswege befinden und wo Umschläge zwischen den Verkehrsträgern möglich sind. Das muss eine Standortstrategie leisten und dabei die vorliegenden Konzepte zusammenführen. Das DVF wird die notwendigen verlässlichen Rahmenbedingungen auch weiterhin politisch einfordern und mit der Expertise seiner Mitgliedsunternehmen aktiv begleiten.