Die Zukunft gehört dem Elektroantrieb
Alexander Vlaskamp, CEO bei MAN Truck & Bus SE, erläutert im Interview mit dem KFZanzeiger, welche Entwicklungen er in der Nutzfahrzeugbranche in den kommenden Jahren erwartet und welche Bedeutung er insbesondere dem autonomen Fahren beimisst.
KFZanzeiger: Wie hat sich die Nachfrage nach Trucks in den vergangenen Jahren vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Lage entwickelt?
Alexander Vlaskamp: Die letzten Jahre waren durch geopolitische Spannungen wie den Ukrainekrieg, Konflikte im Nahen Osten und US-Zölle geprägt – mit direkten Auswirkungen auf Lieferketten und Investitionsentscheidungen. Das erste Quartal 2025 verlief solide, doch seit den neuen Zolldebatten aus den USA beobachten wir wieder mehr Zurückhaltung auf internationalen Märkten. Gleichzeitig sind die von der Regierung angekündigten Milliarden-Investitionen in Deutschland ein positives Signal für die Konjunktur.
Mit unserem starken Produktportfolio sind wir für die unterschiedlichen Marktbedingungen gut aufgestellt. MAN eTGS, eTGX und der neue eTGL decken ein vollelektrisches Spektrum von zwölf bis 50 Tonnen für alle gängigen Transportbedarfe ab – derzeit einzigartig auf dem Markt. Und beim Diesel-Antrieb fährt der neue D30 PowerLion reihenweise Effizienzrekorde in unabhängigen Tests ein. Zusammen mit unserem starken Servicenetz und unseren mehr als 100 Jahren Erfahrung als Nutzfahrzeughersteller macht uns das zuversichtlich für die Zukunft.
KFZanzeiger: Welche Anforderungen stellen Ihre Kunden aktuell an moderne Fahrzeuge? Haben sich diese Erwartungen in letzter Zeit verändert?
Alexander Vlaskamp: Die Grundanforderungen – Effizienz, Zuverlässigkeit, Ergonomie und Komfort – sind nach wie vor entscheidend. Was sich verändert hat, sind die Erwartungen an Umweltfreundlichkeit, Sicherheit und digitale Vernetzung. Unsere Fahrzeuge bieten heute serienmäßig Assistenzsysteme wie Notbrems- und Abbiegeassistenten, Spur- und Abstandshalter sowie Zero-Emission-Antriebe. Hinzu kommen digitale Features wie Over-the-Air-Updates, Smartphone-Integration und KI-gestützte Flottenmanagementsysteme. MAN verfolgt konsequent das Ziel, Fahrer und Unternehmen im Alltag mit den besten verfügbaren Technologien zu unterstützen.
KFZanzeiger: Welche Innovationen haben Ihrer Meinung nach das größte Potenzial, die Branche in den kommenden Jahren zu verändern?
Alexander Vlaskamp: Die größten Hebel liegen in der Elektrifizierung und im autonomen Fahren. Zero-Emission-Antriebe wie Batterieelektrik und Wasserstoffverbrennung sind bereits auf dem Weg in die Serie und treiben die Energiewende im Nutzfahrzeugbereich voran. Noch tiefgreifender wird das autonome Fahren sein, da es die Logistikprozesse selbst verändert. Autonome Lkw können unabhängig von Lenk- und Ruhezeiten rund um die Uhr bedarfsorientiert fahren. Das steigert die Effizienz enorm.
Im Projekt ANITA haben wir zum Beispiel gezeigt, dass ein autonomer Truck den Durchlauf durch den Umschlagprozess von Containern beim Wechsel von der Straße auf die Schiene um bis zu 40 Prozent schneller bewältigen kann als ein manuell gesteuertes Fahrzeug. Das eröffnet neue Möglichkeiten für eine vernetzte, multimodale Logistik.
KFZanzeiger: Sie haben kürzlich eine erfolgreiche Bilanz beim Forschungs- und Entwicklungsprojekt für autonomes Fahren ATLAS-L4 gezogen. Wie schätzen Sie die Zukunft für
autonom fahrende Lkw im alltäglichen Einsatz ein?
Alexander Vlaskamp: Wir sehen autonom fahrende Lkw vor allem im Einsatz zwischen Logistikzentren – sogenannten Hub-to-Hub-Verkehren – und beim Umschlag innerhalb der Hubs. Im Projekt ATLAS-L4 haben wir gemeinsam mit elf Partnern einen Level-4-Lkw für den Hub-to-Hub-Verkehr auf Autobahnen sowie Schnellstraßen entwickelt und erfolgreich getestet – auf festgelegten Strecken und unter technischer Aufsicht, wie es das deutsche Gesetz seit 2021 erlaubt. Zwar war bei den Tests noch ein Sicherheitsfahrer an Bord, doch das Konzept liefert wertvolle Grundlagen für die Serienentwicklung.
Ab Anfang der 2030er-Jahre planen wir erste autonome Serienfahrzeuge. Neben Effizienzgewinnen kann autonomes Fahren auch helfen, den Fahrermangel zu lindern: In Deutschland fehlen bereits rund 100.000 Berufskraftfahrer. Fahrer, die heute die relativ monotonen Hub-to-Hub-Strecken bedienen, könnten künftig anspruchsvollere Aufgaben übernehmen – das schafft auch für die Berufsgruppe neue Perspektiven.
KFZanzeiger: Sie haben Mitte Juni die Mischproduktion für Diesel- und Elektro-Lkw im Münchner Werk aufgenommen. Welche Zukunft sehen Sie für Dieselmotoren und welche für alternative Antriebsformen?
Alexander Vlaskamp: Der Start der Serienproduktion unserer Elektro-Lkw ist ein historischer Meilenstein für MAN und ein enorm wichtiger Schritt, um unser Ziel zu erreichen, bis 2050 CO₂-neutral zu sein. Bis Ende des Jahres wollen wir über 1.000 Fahrzeuge absetzen. Allein diese haben ein CO₂-Einsparpotenzial, das je nach Einsatz und Strommix dem jährlichen Ausstoß einer Kleinstadt entspricht. Die Politik muss nun vor allem beim Ausbau der Ladeinfrastruktur die richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Gleichzeitig bleibt der moderne Diesel – wie unser neuer D30 PowerLion – ein unverzichtbarer Bestandteil der Übergangsphase. Die Mischproduktion auf einer Linie, unabhängig vom Antrieb, gibt uns maximale Flexibilität und erlaubt eine bedarfsgerechte Reaktion auf die Marktentwicklung. Die Zukunft gehört dem Elektroantrieb – aber der Diesel bleibt ein wichtiger Begleiter auf dem Weg dorthin!
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Foto: MAN Truck & Bus