Fortschritt in Sachen Wasserstoff: Im Schwerlastverkehr legt Daimler Truck vor. Das Produkt ist bereit und die Tankstelle für flüssigen Wasserstoff steht bereits seit dem vergangenen Jahr. Zur Produkterprobung hat das Unternehmen fünf Mercedes-Benz GenH2-Trucks an Kunden übergeben.
Bei einem feierlichen Akt Ende Juli begrüßte der damalige CEO Martin Daum im Entwicklungs- und Versuchszentrum der Daimler Truck AG in Wörth am Rhein nicht nur Präsidentin Hildegard Müller vom Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA), sondern auch die Chefs von fünf Unternehmen: Amazon, Industriegashersteller Air Products, Massengutlogistiker Holcim, Elektrolyseanlagenbetreiber INEOS und Mittelständler Wiedmann & Winz.
Für welche Einsätze empfiehlt sich der GenH2 Truck
Jedem übergab er jeweils einen prototypischen Mercedes-Benz GenH2 Truck für ein Jahr, um sie bei Testfahrten im täglichen Einsatz zu erproben. Mit dabei war auch cellcentric, Entwickler, Produzent und Vermarkter von Brennstoffzellensystemen für schwere Nutzfahrzeuge. Das Joint Venture der Daimler Truck AG und der Volvo Group mit Sitz in Kirchheim unter Teck ist eine Ausgründung aus dem ehemaligen Daimler-Konzern. Sechs Exemplare seiner Brennstoffzellenmembrane, in durchsichtigen Kunststoff eingegossen, wurden an die fünf Kunden und an Hildegard Müller überreicht.
„Wir sind extrem daran interessiert zu erfahren, für welche Einsätze sich der GenH2 empfiehlt“, erläuterte Rainer Müller-Finkeldei, Leiter Entwicklung Mercedes-Benz Lkw, den Hintergrund des Events. Welche Aufgaben kommen auf den Fahrer zu? Welche Aufgaben kommen auf das Transportunternehmen zu? Das seien Fragen, die sich die Ingenieure im Wörth bei der Entwicklung solcher Produkte überlegen. Daraus resultiert dann eine technische Lösung, „die wir niederschreiben, um die Erfordernisse der Kunden zu testen und letztlich zu erfüllen.“
Zweierlei Routen, zweierlei Lösungen
Weiter betonte der Entwicklungsleiter, dass es seinem Unternehmen, wenn man an neuen Technologien arbeite, immer darauf ankomme, mit Personen zusammenzuarbeiten, auf die man sich verlassen könne. Schließlich gehe jedes Bedürfnis, das sie äußerten, in die Fortentwicklung ein. „Sie arbeiten täglich mit unserem Produkt, und ständig ergeben sich in einer prototypischen Phase Änderungen.“ Am besten, so betonte er, lerne das Unternehmen, indem man den Kunden zuhöre, gemeinsam mit ihnen arbeite und sich die Details genau ansehe. Bei Daimler Truck, so Martin Daum, habe man sehr frühzeitig damit begonnen, gegen den Klimawandel anzukämpfen und sich das Ziel der Null-Emissionen gesetzt. „Dafür ist es unabdingbar, dass wir zweierlei Routen verfolgen mit zweierlei Lösungen – die batterieelektrische und die mit Wasserstoff.“ Außerdem sei der Transportsektor für ungefähr sieben Prozent globaler CO2-Emissionen verantwortlich. Wolle man den Klimawandel bekämpfen – „und genau das wollen wir“ – dann müsse man das Null-Emissionsziel erreichen.
Zwei neue Technologien, zwei neue Infrastrukturen Auf dem Weg zur Nullemission braucht es aber nicht nur die richtige Technologie. Neben dem richtigen Produkt braucht es auch die entsprechende Infrastruktur. Doch es genügt nicht, nur für eine Technologie Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Wenn man komplett auf eine batterieelektrische Lösung setzt, ist das anfangs ein Leichtes. Martin Daum erklärt dazu: „Der erste Ladepunkt geht immer. Der zweite kostet etwas Geld. Fünf kosten ein paar Millionen. Danach gehen Sie ins Hochvoltsystem – und das treibt die Kosten exponentiell in die Höhe.“ An dieser Stelle kommt Wasserstoff ins Spiel und Martin Daum räumt bei dieser Gelegenheit mit den kursierenden Vorurteilen auf: Als Hauptargument gegen die Wasserstoff-Technologie werde meist ins Feld geführt, man müsse riesige Elektrolyseure bauen, eine komplette Transportflotte und vieles mehr. Deshalb, so die Gegner, sei das Unterfangen Wasserstoff unmöglich.
Von Bertha Benz bis in die Gegenwart und Zukunft
Darauf entgegnet Daum: „Das ist gerade so, als hätten Sie zu Bertha Benz, als sie ihre erste Fahrt von Mannheim nach Pforzheim unternahm, gesagt: ‚Vergessen Sie dieses Gefährt. Denn Sie müssen Bohrungen tief in die Nordsee vornehmen. Dann müssen Sie Raffinerien bauen, die Milliarden verschlingen. Dazu müssen Sie noch Tankschiffe bauen – nicht zu vergessen, die Tankstellen, die flächendeckend zu errichten sind. Bleiben Sie doch einfach beim Pferd, denn wir haben Heu zuhauf. Wir brauchen dieses Ölzeug nicht.“
Wie also kann es konkret weitergehen? Hildegard Müller plädiert ebenfalls für Technologieoffenheit und unterstreicht dabei die Bedeutung von Wasserstoff. Bis 2030 brauche man mehr als 20.000 Zero-Emission-Lkw. Müller weiter: „Wasserstoff ist in großen Mengen speicherbar. Damit ist er als Energieträger der Zukunft essenziell. Für den Schwerlastverkehr bedeutet das, dass sich der Brennstoffzellenantrieb zu einer zentralen Komponente im Technologiemix auf dem Weg zum emissionsfreien Schwerlastverkehr entwickelt.“ VDA-Präsidentin fordert Geschwindigkeit der Politik Die Wasserstoffproduktion befindet sich am Anfang des Hochlaufs. Vor allem in Europa aber, so war die einhellige Meinung in Wörth, sei die Regulatorik derartig restriktiv, dass sie kaum zu ausreichenden Investitionen führe. Die VDA-Präsidentin mahnt zu Geschwindigkeit auf allen Ebenen und richtet klare Forderungen an die Politik: „Das Einführen und
Etablieren von Wasserstofftechnologien bedarf der richtigen politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen.“

GenH2 Truck: Start der kundennahen Erprobungen
Foto: Daimler Truck
Insbesondere das Fehlen einer für Nutzfahrzeuge geeigneten Lade- und Wasserstoffbetankungsinfrastruktur erschwere das Erreichen der CO2-Reduktionsziele. Die CO2-Reduktionsziele der EU für den Schwerlastverkehr, wonach bis 2030 die die CO2-Emissionen der zugelassenen schweren Nutzfahrzeuge um insgesamt 45 Prozent zurückgehen müssen, sodann bis 2040 um 90 Prozent, bewertet Müller als ambitioniert, aber insgesamt positiv. „Damit haben die Unternehmen Planungssicherheit.“ „Wir begrüßen es, dass es politisch vorangeht mit dem geplanten LKW-Ladenetzwerk von 350 öffentlichen schnellen Ladestationen in Deutschland. Aber zum derzeitigen Zeitpunkt sind sie lediglich in Planung“, kritisiert sie. Beim Wasserstoff sehe es noch bedenklicher aus. „Wir brauchen circa 300 für Lkw geeignete Wasserstofftankstellen in Europa. Bis 2025! 85 davon in Deutschland.
Multimodaler Ansatz
Bis 2030 sollten es europaweit mindestens 1000 Tankstellen sein. 300 davon in Deutschland.“ Kunden hoffen auf Wasserstoff Und die Kunden, die den Mercedes-Benz GenH2 nun zumindest für ein Jahr in ihrem Fuhrpark haben? Wie sehen sie die Transportbranche gerüstet? Seifi Ghasemi, als CEO und Präsident von Air Products Vertreter eines Weltkonzerns, meint, es könne keine Debatte darüber geben, dass „Wasserstoff in seiner Essenz die Quelle von Energie schlechthin ist, die wir seit Menschengedenken benutzen.“ Wasserstoff sei die eigentliche Energiequelle für alles. „Und jetzt müssen wir CO2-freien Wasserstoff herstellen.“ Der Standpunkt von Air Products sei simpel: „Niemand wird diese Lkw bauen, niemand wird diese Lkw einsetzen, wenn er nicht sicher ist, ob der Kraftstoff dafür vorhanden ist.“ Air Products aber baue seine Anlagen in der Überzeugung, dass diese Nutzer kommen werden.
Den Kampf um eine Entscheidung für gasförmigem oder flüssigem Wasserstoff bewertet Martin Daum als schädlich. „Ich befürworte den multimodalen Ansatz, den beispielsweise Air Products verfolgt, wonach der Wasserstoff flüssig transportiert und an der Tankstelle gelagert wird.“ Das sei die beste Methode, weil die Energiedichte von flüssigem Wasserstoff viel höher ist als jeder gasförmige Wasserstoff. Flüssiger Wasserstoff sei zudem viel einfacher von einem Tanker zu einer Tankstelle zu transportieren und von einer Tankstelle zu einem Lkw. Nichtsdestotrotz gibt es auch Anwendungen, für die gasförmiger Wasserstoff benötigt wird. Zudem gebe es Wettbewerber, die sich für gasförmigen Wasserstoff entschieden hätten. „Jedenfalls wollen wir keinen religiösen Kampf zwischen den beiden Wasserstoffzuständen“, sagt der damalige Vorstandsvorsitzende.
Wie schnell verflüchtigt sich getankter Wasserstoff?
Die Angst vor einem großen Verlust getankten Flüssigwasserstoffs bei sehr hohen Außentemperaturen hält an, nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen mit Erdgas. Die Angst sei unbegründet, sagen die Daimler-Truck-Experten. Das Entweichen von Wasserstoff sei ein Thema, zumal der Tank des Mercedes-Benz GenH2 nicht aktiv gekühlt wird, wenn das Fahrzeug parkt. „Aber der Tank ist sehr gut isoliert, sodass es kein Problem ist, das Fahrzeug über Nacht abzustellen“, erklärt Müller-Finkeldei und ergänzt: „Grundsätzlich verliert man ein beträchtliches Volumen an Wasserstoff erst nach einer Woche oder mehr.“ Beim üblichen Einsatz der Fahrzeuge, also Fahrten während der Woche und Parken übers Wochenende, sei ein Verdampfen kein bedeutendes Thema.
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