Der Gemeinden Wörth gibt es viele: an der Donau, an der Isar, am Main und… am Rhein. Letztgenannte Gemeinde, Wörth am Rhein in Rheinland-Pfalz, ist aus Branchensicht die spannendste. Da befindet sich die weltgrößte und höchst moderne Produktionsstätte für LKW. Wörth ist das produktive Zuhause der Daimler Truck AG, das seit 60 Jahren stetig modernisiert wird.
Der Beitrag ist noch nicht im KFZ-anzeiger erschienen, seine Erstveröffentlichung erfolgt online. Autorin ist Dr. Susanne Roeder.
Seit der Trennung der LKW-Sparte im Dezember 2021 vom Bereich Pkw, der heutigen Mercedes-Benz AG, entwickelt sich die Aktie der Daimler Truck AG sehr positiv. Dass die Aktie bei der diesjährigen Bilanz-PK mit einem Kurssprung von zeitweise plus 18 Prozent nach oben schnellte, nötigte selbst hartgesottenen Börsianern Respekt ab. So etwas hätten sie im DAX viele Jahre nicht annähernd in dieser Größenordnung erlebt, sagten Aktionäre und Kommentatoren euphorisch.
Produktionsbeginn des neuen Mercedes-Benz Actros L ante portas
Bald soll auch der letzte Prüfstand von Untertürkheim nach Wörth umziehen und die Trennung Lkw – Pkw räumlich vollständig besiegeln. In der Zwischenzeit legt der weltgrößte Nutzfahrzeugsteller nach, geht mit der dritten Generation des Flaggschiffs im Hause Daimler Truck an den Start. Der Mercedes-Benz Actros L ist ein Luxusliner mit 80 Millimetern längerer Front, was dem Komfort in der Fahrerkabine unmittelbar zugute kommt, und vielen anderen Neuerungen. Damit soll das Fahren auf Langstrecken noch komfortabler, einfacher und sicherer werden.
Bestellen kann man den Premium-Lkw für den Fernverkehr schon jetzt, Produktionsstart ist im Dezember. Bislang gibt es ihn als Diesel oder rein elektrisch. Doch der Wasserstoff-Kollege ‚Gen H2’ steht ebenfalls in den Startlöchern, will losdampfen, sobald es eine vernünftige Ladestruktur für Wasserstoff zulässt. Für das effiziente Laden des eActros 600 sind 800-Volt-Ladestationen Voraussetzung.
„Für alle Antriebstechnologien wollen wir unseren Kunden stets die besten Fahrzeuglösungen bieten. Dabei wird in den unterschiedlichen Weltregionen auch der klassische Diesel-Lkw noch einige Zeit unverzichtbar bleiben”, sagt Rainer Müller-Finkeldei, Leiter Entwicklung Mercedes-Benz Lkw.
Best of Class
Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Der Produktionsstart des eActros 600 und des neuen Mercedes-Benz Actros Diesel ist so ein Großereignis. Der eActros 600 ist nicht nur der reichweitenstärkste rein batterieelektrische Actros von Mercedes-Benz, sondern nach fester Überzeugung der Mitarbeiter von Daimler Truck der reichweitenstärkste batterieelektrische Lkw überhaupt, der jüngst in Finnland die Wintererprobung abgeschlossen hat und den es ab Dezember auf dem Markt geben wird.
Seine Produktion wird vollständig in die Produktionslinie Actros L integriert sein. Dies ermöglicht größtmögliche Flexibilität, auf Bestellungen einzugehen und diese abzuarbeiten, egal ob Diesel oder eActros. Während der Nutzfahrzeugmotor OM 471 von oben eingebaut wird, werden die drei Batteriepakete à 1,5 Tonnen beim eActros in der Produktion von der Seite in das Fahrzeug geschoben.
Der KFZ-anzeiger war bei der Sneak Preview vor Ort in Wörth und konnte während intensiver Workshops das Innenleben des Mercedes-Benz Actros L erkunden und erfahren, wie die Ingenieure für seine vollelektrische Variante valide Vergleichstests anstellen.
Noch effizienterer Dieselmotor und weiter optimierte Aerodynamik
Wer behauptet, die Verbrenner hätten in Sachen Effizienz das Ende der Fahnenstange erreicht, liegt falsch. Der Diesel Actros L erzielt via verbesserter Aerodynamik (+3%) und der dritten Generation des OM 471 (+ 4%) sieben Prozent weniger Kraftstoffverbrauch als beim Vorgängermodell.
Noch wichtiger als beim Diesel ist die Aerodynamik beim eActros. Denn der Batterieverbrauch sinkt rasant bei steigendem Luftwiderstand. Die gesamte Formgebung der ProCabin, wie sie bei der Weltpremiere des eActros 600 im Oktober gezeigt wurde, ist daher von Kopf (mit dem Vor-Spoiler auf dem Dach vor dem eigentlichen Dachspoiler) bis Fuß (mit neuartiger Unterbodenverkleidung) auf eine besonders günstige Aerodynamik ausgelegt. Durch die neu durchkomponierte Außenverkleidung mit vielerlei detaillierten Neuerungen, etwa dem windschnittigen Eintrittsbrett, trifft der Fahrtwind nicht nur auf eine aerodynamisch günstige Front, mit ihr kommt optisch sogar die Zukunft auf die Straße.
Mit dieser Aerodynamik sehen sich die Entwickler vor dem Wettbewerb. Es sei insgesamt der bestmögliche Kompromiss zwischen Kosten und Effizienz. Darüber hinaus habe man im neuen Mercedes-Benz Actros L das beste Crash-Konzept. Sicherheit geht vor.
ProCabin mit futuristischem Design
Der neue 40 Tonner wirkt auf den ersten Blick futuristisch, glattgebügelt, ohne für den cw-Wert schädliche Fugen und Kanten.
In seinem Innern geizt er genauso wenig mit Raffinessen und hoher Ingenieurskunst. Im Innenraum ist Wertigkeit angesagt, um dem Fahrer möglichst viel Wohlfühlambiente beim sogenannten „Hoteling“ zu vermitteln. Sowohl bei der Fahrt als auch während der Ruhe- und Schlafphasen. Das reicht von der schönen Lampe bis zur wertigen Matratze.
Das Thema Matratze ruft Erinnerungen an Loriot’sches Probeliegen im Möbelhaus zwecks Matratzenkauf fürs eheliche Bett wach. Auch hier waren Mercedes-Benz Tester unter Realbedingungen im Einsatz, also Fahren und Schlafen. Schließlich ist ein ausgeschlafener Fahrer ein deutlich sicherer Fahrer und da kommt es nicht zuletzt auf die Beschaffenheit der Matratze an.
Innovative Assistenzsysteme
Im neuen Mercedes-Benz Actros L sind eine Vielzahl weiterentwickelter Sicherheitssysteme verbaut. Die mittlerweile bereits sechste Generation des Active Brake Assist (ABA) etwa kann jetzt mehrere Fahrspuren überwachen und bei Geschwindigkeiten von bis zu 60 km/h auch vor kreuzenden, entgegenkommenden oder in der Spur fahrenden Verkehrsteilnehmern eine automatisierte Vollbremsung bis zum Stillstand durchführen.
Beim Active Sideguard Assist 2 (ASGA) wiederum überwachen sechs Sensoren den Verkehr auf der Fahrer-, aber auch auf der Beifahrerseite und können mittels zweistufigem Warnsystem die Fahrerinnen und Fahrer auf potenzielle Gefahren hinweisen. Außerdem hat ASGA 2 ein intelligentes Spurwechselwarnkonzept.
Ab April 2025 kann der Actros L Kunde weitere Neuerungen wie das Mutlimedia Cockpit Interactive 2 mit zusätzlichen digitalen Diensten bestellen.
„Mit unseren Assistenzsystemen übertreffen wir die verbindlichen Sicherheitsregelungen (GSR) der EU bei weitem“, betont Müller.-Finkeldei und ergänzt, man habe die besten Sicherheitssysteme auf dem Markt. Ein echter Wettbewerbsvorteil, der natürlich seinen Preis hat.
1 x Zwischenladen = deutlich > 1000 Kilometer Reichweite
Vollgeladen bewältigt der schwere Elektro-Lkw 500 Kilometer. Eine Zwischenladung am Tag während der gesetzlich vorgeschriebenen Fahrerpausen und der eActros 600 schafft deutlich mehr als 1000 Kilometer. Damit ist er in der Lage, die Mehrheit der Diesel-Lkw in diesem Segment langfristig abzulösen. Langfristig, weil er im Optimalfall mit 800 Volt zu laden ist, und dafür sind europaweit bislang weder genügend Raststätten ausgestattet, noch ist das elektrische Netz dafür vorbereitet. Kurzum: Daimler Truck hat die Produkte, aber die Infrastruktur ist noch nicht gerüstet für Klimaneutralität.
Wie aber den Verbrauch eines elektrischen Lkw definieren und den TCO darstellen? Um absolute Werte bestimmen zu können, sind vielerlei Faktoren zu berücksichtigen: Wahl der Reifen, deren Zustand und Druck, Verkehr und Geschwindigkeit des Lkw, Topographie, Temperatur, Gewicht, Fahrmodus und nicht zuletzt die Fahrweise des Fahrers selbst.
„Bei null bis zehn Grad verlieren wir zehn bis 20 Prozent Reichweite, obwohl wir die Abwärme des eDrive nutzen. Aber physikalische Grenzen können auch wir nicht überwinden“, erläutert Versuchsingenieur Dirk Stanz.
Erst wenn man die Verluste beim Laden abziehe – denn der Ladevorgang an sich braucht Energie – komme man dahin, was der Fahrer vom Diesel kennt, nämlich den Verbrauch beim Fahren. Um den realen Verbrauch beim Serien eActros 600 zu messen, scheuen die Entwickler keine Mühen. Während sie beim Diesel-Lkw einen Durchflussmesser in den Kraftstoffkreislauf integrieren und die getankte Menge bei abgestelltem Motor messen, braucht es für einen elektrischen Lkw ein gänzlich anderes Verfahren.
Reichweite messen beim eActros
Um die Reichweite eines elektrischen Lkw möglichst präzise bestimmen zu können, müssen die Entwickler tief in das Hochvoltsystem eingreifen. Sie müssen das Hochspannungssystem modifizieren, um so die verbrauchte Energie messen zu können und dabei sicherzustellen, dass die aufgeladene Energie korrekt gemessen wird und dabei die Ladeverluste einbezogen werden.
Für journalistische Vergleichstests eActros gegen eActros musste ein Verfahren her, das keiner Expertise beim Umgang mit Hochspannungen bedarf. Das immer noch beste Vorgehen ist eine vergleichende Testfahrt auf der gleichen Strecke zur gleichen Zeit, da sonst wechselnde Einflüsse wie Wetter und Verkehr das Ergebnis beeinflussen. Möglichst mehrfach und mit Wechsel von Fahrer und Trailer.
Für solche eins-zu-eins Vergleichsfahrten von Journalisten haben die Ingenieure ein Gerät entwickelt, das für das Messen des Energieverbrauchs abschnittsweises Messen möglich gemacht. Dafür wird ein CAN Bus eingesetzt, der beliebig lange mitlaufen und dabei endlos viele Daten sammeln kann. Das erlaubt dann Korrekturen am System und dessen Ladezustand (SoC).
Vergleichstests zwischen eLkw verschiedener Hersteller schwierig
Da verschiedene Hersteller zu verschiedenen Testmethoden für ihre elektrischen Nutzfahrzeuge greifen, ist ein echter Vergleich bislang nicht möglich. Hinzu kommt, dass Daimler Truck anders als der Wettbewerb im eActros eine Lithium-Eisenphospat (LFP) Chemie verwendet. Diese Akkus haben eine hohe Lebensdauer, sollen wie der Diesel 1,2 Millionen Kilometer in zehn Betriebsjahren bewältigen können und danach noch eine Reichweite von über 80 Prozent haben.
Weil das Ladeverhalten von den Lithium-Ionen Akkus anders ist als das der LFP Akkus, sind Vergleichstests per se erschwert. LFP Akkumulatoren müssen möglichst auf 95 Prozent geladen sein, Lithium-Ionen Akkus dagegen auf nicht mehr als 85 Prozent, will man die jeweilige Lebensdauer nicht mindern. Dennoch könnte das Gerät, das Daimler Truck für journalistische Vergleichstests entwickelt hat, auch bei anderen Herstellern Daten liefern. Das verschlüsselte Sammeln solcher Daten und deren Auswertung befürworten die Ingenieure in Wörth und hoffen, dass damit validere Aussagen über Reichweiten unterschiedlicher eTrucks möglich werden.
Rainer Müller-Finkeldei freut sich schon jetzt auf Dezember und ist sich sicher: „Mit dem neuen eActros 600 kommen viele signifikante Neuerungen ins Spiel, die das Fahren abermals sicherer, angenehmer und effizienter machen.“
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